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Epicordia

Epicordia

Titel: Epicordia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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umstülpen konnte.
    Sie befand sich nun in der
Wohnung der Mendels in Ravinia. Sie hatten es sich nett
eingerichtet. Die Möbel waren zu großen Teilen dieselben wie noch in der
anderen Wohnung Jahre zuvor. Auch hier waren die Wände über und über behangen
mit allerlei Teppichen aus dem Nahen Osten.
    Da klingelte es.
    Joshua Mendel kam aus einem Zimmer, ging an Lara
vorüber und öffnete die Wohnungstür.
    Zwei Nachtwächter in praktischer, lederner Arbeitskleidung
standen dort.
    Â»Mr Joshua Mendel?«, erkundigte sich einer von ihnen.
    Â»Ja?«
    Â»Der hohe Stadtrat von Ravinia schickt uns. Sie haben
Fristen, die ihnen gesetzt wurden, verstreichen lassen, ohne die Stadt zu
verlassen.«
    Â»Und jetzt wollen Sie mich tatsächlich rausschmeißen?«
    Wieder dieser Unterton, der nicht so sehr
herausfordernd klang als vielmehr resigniert.
    Dem wortführenden Nachtwächter stand ins Gesicht
geschrieben, wie ungern er hervorbrachte, was er zu sagen hatte. Doch es war
nun einmal sein Job.
    Â»Mr Mendel, ich muss Sie bitten, mir alle magischen
Schlüssel auszuhändigen, die sich in Ihrem Besitz oder dem Ihrer Frau
befinden.«
    Â»Und wenn ich es nicht tue?«
    Â»Dann sind wir befugt, Sie
Ihnen vorübergehend abzunehmen. Man hat eine Wohnung für Sie in London
organisiert, zu der wir Sie geleiten sollen. Von Ihrer Arbeit in Ravinia sind
Sie so lange entbunden, bis Sie Ihre neue Wohnung bezogen haben.«
    Joshua Mendel sah den Nachtwächter schief an.
    Â»Und wie soll ich ohne Schlüssel nach Ravinia
gelangen?«
    Â»Sie werden jeden Morgen eskortiert, Mister.«
    Â»Das soll ja wohl ein beschissener Witz sein, oder?«
    Jetzt begann er tatsächlich sich aufzuregen.
    Â»Ich weiß nicht, wem im Stadtrat meine Nase nicht
passt, aber so etwas Lächerliches ist noch nie, hören Sie, noch
nie in der gesamten Geschichte dieser Stadt vorgekommen. Darauf verwette
ich alles.«
    Â»Mr Mendel, hören Sie …«
    Weiter kam der Nachtwächter nicht, denn der wütende
Wahrsager schlug ihnen die Tür vor der Nase zu. Oder er versuchte es zumindest,
denn selbstverständlich waren die Nachtwächter schneller. So gut wie niemandem
auf der ganzen Welt war es möglich, es körperlich mit einem Nachtwächter
aufzunehmen. Blitzschnell, elegant und mit der ihnen eigenen tödlichen
Präzision schossen sie vor. Die Tür flog weit auf, die beiden traten ein und
der zweite Nachtwächter packte mit festem Griff Joshua Mendels Arm.
    Â»Mr Mendel«, sagte der erste Nachtwächter – und es
klang beinahe, als täte es ihm tatsächlich leid. »Wir haben unsere
Anweisungen.«
    Er tastete den Wahrsager ab, während sein Kollege ihn
festhielt, fand aber offensichtlich keine Schlüssel.
    Â»Lassen Sie ihn los!«, ertönte es hinter ihnen.
    Lara drehte sich um.
    In einer Tür stand Rose Mendel, eine Glasschüssel in
der einen Hand, ein Geschirrtuch in der anderen. Sie war ebenso schön wie beim
ersten Mal, als Lara sie gesehen hatte. Doch ein dunkler Schatten lag bereits
um ihre Augen und dieser rührte nicht daher, dass sie wütend war.
    Â»Mrs Mendel, wir …«, begann der erste Nachtwächter,
doch weiter kam er nicht, denn sie warf mit der Schüssel nach ihm.
    Geschickt wich er aus, drehte sich darunter hinweg auf
sie zu. Sie schleuderte das Geschirrtuch nach ihm und versuchte gleichzeitig an
ihm vorbeizukommen, doch mit einer Hand erwischte der Nachtwächter sie und riss
sie von den Füßen.
    Noch während die Glasschüssel an der Wand zerschellte,
stürzte Rose Mendel mit dem Kopf gegen die Kante der Kommode im Flur und blieb
still liegen, während ein Regen aus Glasscherben auf den Boden prasselte.
    Â»Rose, nein!«
    Der Schrei aus Ma’Haraz’ Kehle übertönte alle Gedanken
im Raum. Der Nachtwächter, der ihn festhielt, leistete keinerlei Gegenwehr als
er sich losriss und zu seiner Frau stürzte, unter der sich eine dunkelrote Lache
aus Blute bildete. Blut. So viel Blut! Viel und viel zu schnell, um auch nur
irgendetwas dagegen tun zu können.
    Joshua Mendel hievte ihren Oberkörper hoch, doch ihr
Kopf baumelte nur schlaff herab und rot tropfte es von ihm herunter auf die
Holzdielen.
    Â»Nein, nein«, jammerte er, versuchte seine tätowierte
Hand auf irgendeine ihrer viele Wunden zu pressen. Doch weder gegen die
schrecklich Platzwunde an Roses Kopf noch

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