Epicordia
näher.
Und auf einmal war er da, trat von rechts in ihr
Blickfeld.
Es kam überraschend und
zugleich war es das doch nicht. Lara war es, als hätte sie eine Ahnung gehabt â
oder Lees Vision interpretiert.
Natürlich kannte sie ihr Gegenüber. Und im
Verwirrspiel dieser ganzen Geschichte erschien es ihr fast logisch, ihn hier zu
sehen.
Er sah ein wenig aus, als hätte Rembrandt sich an
einem modernen, gefallenen Engel versucht. War er ein Racheengel? Flammend
zwischen Erde und Hölle?
Hinter seinen Schultern schwebten Gebilde aus
lodernden Flammen in der Luft. Es wirkte tatsächlich wie die Flügel eines
Engels. Feuer tropfte von ihnen hinab zum Boden wie von Pechfackeln.
Von oben bis unten war er
wie ein einziger, geschwungener Federstrich in Schwarz. Seine langen Haare lagen
ruhig auf seinen Schultern und sein rabenschwarzer Mantel war über und über mit
kleinen Accessoires und Kinkerlitzchen bedeckt. Talismane, Symbole, Nieten,
Ketten und vieles mehr.
Lara wusste nicht, woher seine beiden Flügel aus Feuer
kamen â und eigentlich wollte sie auch gar nicht wissen, mit welchen Teufeln er
einen Pakt geschlossen hatte. Das Einzige, an das sie denken konnte in diesem
surrealen Moment, war seine Vergangenheit, die sie noch am späten Nachmittag
quasi am eigenen Leib erfahren hatte. Das Wissen darum, wie er zu dem geworden
war, was er war. Oder zumindest, warum er den Weg dorthin beschritten hatte.
»Du bist also doch wieder hergekommen, nach Ravinia?«,
begrüÃte Lee ihn kühn. Tollkühn , wie Lara fand. Doch
was blieb ihnen in diesem Moment auch übrig?
Ein dünnes Lächeln umspielte MaâHarazâ Mundwinkel. Die
Schatten in seinem Gesicht wurden durch den Feuerschein pointiert.
»So sieht es aus«, antwortete er mit seiner
Wüstensandstimme. »Du weiÃt, weshalb ich gekommen bin?«
Lees Hand wanderte zu seiner Tasche und legte sich
darauf.
»Die nachtschwarze Kugel?«, fragte er.
MaâHaraz streckte die Hand aus.
»Ich denke, Sie brauchen sie jetzt nicht mehr«, sagte
Lee jedoch entschuldigend. Nichts an dieser skurrilen wie gefährlichen
Situation schien ihn ernsthaft zu beeindrucken. Oder er zeigte es schlichtweg
nicht.
»Ach ja?«, hakte sein Gegenüber nach und die
Flammenflügel loderten nervös auf.
»Wir wissen schon, was es mit der Kugel auf sich hat«,
platzte Lara hervor. »Sie heiÃen in Wirklichkeit Joshua Mendel. Und Sie tun,
was Sie tun, weil Sie zutiefst verletzt worden sind.«
Die Flügel des düsteren Engels verloschen plötzlich
und um sie herum wurde es Nacht. Tiefe, dunkelste Nacht in den StraÃen der
sonst so düstergoldenen Stadt. Das Prasseln und Knistern des Feuers hallte von
jenseits der Häuserreihen zu ihnen herüber. Die verzweifelten Rufe der Leute im
Rondell waren nur ein dumpfes Echo.
Sie würden sich mit Händen und FüÃen gegen MaâHaraz
zur Wehr setzen, auch wenn das hieÃe, den einen oder andern Schlag unter der
Gürtellinie zu platzieren. Und Lara hatte ihn bereits getroffen, sie waren klar
im Vorteil. Sie hatten etwas in der Hand, das sie gegen ihn verwenden konnten.
Seine traurige Vergangenheit.
»Lara McLane«, sagte MaâHaraz. Es klang ruhig, beinahe
schlug er einen Plauderton an. Ein wenig so, als stellte er in diesem Moment
gerade eben erst fest, dass die junge Schlüsselmacherin vor ihm stand.
»Ich habe keine guten Erinnerungen an dich, Mädchen«,
fuhr er fort. »Ehrlich gesagt hatte ich dich beinahe schon verdrängt. Aber
irgendwie scheinst du immer wieder lästig zu werden.«
Er musterte sie einige Sekunden lang still. Trotzig
hielt sie seinem Blick stand. Hatte sie ihn etwa doch nicht so sehr in die Ecke
gedrängt, wie sie vermutet hatte?
»Im Grunde genommen sind
Sie eine scheue, verletzte Kreatur, Joshua«, versuchte Lara es weiter. »Sie
sind blind, fehlgeleitet, weil man Ihnen Unrecht getan hat.«
MaâHaraz schnaubte einmal kurz. Dann konterte er.
» Du willst mir also etwas über die schlimmen, schlimmen Dinge aus
meiner Vergangenheit erzählen? Du solltest es eigentlich besser wissen. Die
Vergangenheit macht uns zu dem, was wir sind. Hast du denn selbst nie darüber
nachgedacht, woher du kommst, Mädchen? Was dich zu dem macht, das du bist?«
Seine Stimme wurde vom Wüstensand zum Sandsturm, der
tosend alles in seinem Weg schliff und
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