Epsilon
herauskommen.«
Zuerst erfolgte keine Antwort, dann ertönte ein weiterer Schrei von Latimer West, diesmal seltsam gedämpft, als wäre ihm etwas – vielleicht Charlies Hand – über den Mund gelegt worden. Das Wimmern ging weiter, und Amery sah, wie es bei seinen Männern begann, Wirkung zu zeigen, was Charlie zweifellos beabsichtigt hatte. Sie tauschten beunruhigte Blicke untereinander aus und verloren die Konzentration.
»Nun gut, Charlie, wenn Sie es unbedingt so wollen«, sagte Amery ins Handy, aber laut genug, dass auch seine Männer es hören konnten. »Es tut mir leid, dass es so enden muss.«
Amery nickte dem Mann zu seiner Rechten, Michael, zu, der sein Stichwort erkannte und das Feuer eröffnete. Die anderen schlossen sich ihm an, durchlöcherten beide Seiten des Rumpfes mit einem Kugelhagel, rissen die glänzende Flugzeughülle mit jeder neuen Runde glühenden Bleis auf und ließen das Flugzeug in einer beinahe komischen Parodie von Luftturbulenzen hin und her tanzen.
Amery Hyde trat einen Schritt zurück, um sein Werk zu begutachten. Das Rattern der Maschinenpistolen war ohrenbetäubend, doch mit der Zeit wirkte es hypnotisch, ja beinahe beruhigend. Für Amery Hyde war es ein Zeichen dafür, dass ein Problem gelöst war. Charlie Monk hatte seinen Zweck erfüllt, nun war er untragbar geworden. Er hatte jedes vernünftige Angebot, sich zu ergeben, ausgeschlagen: Das würde jeder der anwesenden Männer bestätigen können, falls, was unwahrscheinlich war, jemand Amerys Entscheidung in Frage stellen sollte. Lediglich aus einem Grund konnte man ihn vielleicht kritisieren: dass er Latimer Wests Tod in diesem Inferno billigend in Kauf genommen hatte. Man würde jedoch schnell erkennen, dass die Gefahr, die von einem unkontrollierbaren Charlie Monk ausging, den Verlust Wests nicht nur rechtfertigte, sondern bei weitem überwog. West hatte in der Vergangenheit gute Arbeit geleistet, aber niemand war unersetzlich. Nur die Sache zählte. Das musste Amery Hyde sich immer wieder selbst vor Augen halten. Im Interesse der Sache musste er sogar den Verlust der Liebe seiner Tochter hinnehmen. Er würde mit diesem Verlust leben müssen, wie er stets bereit gewesen war, die Konsequenzen seiner Entscheidungen zu tragen.
Seine Gedanken mussten für einen Augenblick abgeschweift sein, betäubt vom monotonen Rattern des Gewehrfeuers. Es hatte nun lange genug angedauert, entschied er. Es war vorbei. Doch erst als er die Hand hob, um das Signal zur Einstellung des Feuers zu geben, wurde ihm richtig bewusst, was um ihn herum geschah. Michael lag am Boden, bewegungslos. Ein zweiter Mann krümmte sich auf der Landebahn, seine Schmerzensschreie waren über dem Lärm der Maschinenpistolen kaum hörbar. Und unter Amerys Blicken wurde ein dritter Mann von einer Kugel getroffen, die sein Gesicht in einen blutigen Krater verwandelte.
Amery blickte hektisch um sich auf der Suche nach einer Erklärung. Das konnte nicht sein! Wie war so etwas möglich? Es musste sich um einen Irrtum handeln.
Und dann sah er ihn: den Piloten. Er war auf den Beinen, feuerte eine Pistole ab und bewegte sich schneller, als das Auge ihm zu folgen vermochte. Doch Amery erkannte auch so, dass er Charlie vor sich hatte, und er verstand sofort, wie dieser sie alle überlistet hatte. Amery verfluchte sich dafür, die Kreatur, bei deren Erschaffung er selbst (zumindest teilweise) beteiligt gewesen war, so unterschätzt zu haben. Er sah hilflos mit an, wie Charlie in einer eleganten, todbringenden Bewegung einen vierten Mann mit einem Sprungtritt fällte, dessen Waffe aufsammelte und seine drei übrigen Gegner mit einer einzigen Salve niedermähte, während er sich gleichzeitig abrollte, und das so schnell, dass Amery nur seine verwischten Konturen wahrzunehmen vermochte.
Stille senkte sich so plötzlich auf das Flugfeld herab, dass die ganze Szenerie beinahe unwirklich schien. Das Erste, was Amery auffiel, war der scharfe Geruch nach Kordit, der in der Luft lag. Alle seine Männer waren tot, nicht einmal mehr ein Wimmern war zu vernehmen. Die einzigen Geräusche, die überhaupt zu hören waren, kamen von Charlie, der sich ihm näherte: seine leisen Schritte auf dem Erdboden, als er um das Heck des zerschossenen Flugzeugs bog, und das metallische Klicken der Maschinenpistole, die er nun locker in der Hand hielt. Seine Kleider waren voller Flecken: von der Erde, als er sich abgerollt hatte, und vom Blut seiner Gegner. Er selbst schien unversehrt.
Charlie
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