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Epsilon

Epsilon

Titel: Epsilon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
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ließ Amery keine Sekunde aus den Augen, während er beinahe wie zufällig auf die Tür des Flugzeuges zuschritt. Erst als er dort angekommen war, wandte er den Blick ab und sah ins Innere.
    Latimer West – oder das, was von ihm übrig war – saß zusammengesunken in dem Sitz, auf dem Charlie ihn festgebunden und geknebelt hatte. Der Pilot lag zusammengekrümmt und in seiner Unterwäsche mehr vor Angst als vor Kälte zitternd auf dem Boden des Cockpits, wo Charlie ihm zu bleiben befohlen hatte. Er schien unverletzt, und Charlie war froh darüber. »Alles okay«, sagte er. »Die Schießerei ist vorbei. Du kannst rauskommen.«
    Dann drehte er sich wieder zu Amery Hyde um, der sich nicht von der Stelle bewegt hatte und sich auch jetzt noch nicht rührte, da Charlie auf ihn zutrat. Amery wusste, dass er das Ende seines Weges erreicht hatte. Er fürchtete sich nicht vor dem Tod; das hatte er nie getan. Es gab nur eines, wovor er sich stets gefürchtet hatte: davor, dass das Böse siegen könnte, und Charlie hielt er nicht für böse. Charlie war ein Werkzeug des Guten, das außer Kontrolle geraten war. Nun, jetzt würde sich ein anderer um dieses Problem kümmern müssen. Der Mann, der einmal Control gewesen war, sah Charlie gelassen entgegen, im Einklang mit sich selbst, aufrechten Blicks und ruhig atmend.
    Charlie blieb stehen und musterte den älteren Mann eine Weile, und dann sprach er mit ihm, als ahne er, was in Amerys Kopf vor sich ging.
    »Ich werde Sie nicht töten, Amery«, sagte er. »Sie sind nicht gefährlich. Nicht mehr. Für niemanden.«
    Amery errötete. Die Entrüstung, die er verspürte, traf ihn völlig unerwartet. Seine Kehle war trocken. Er räusperte sich. »Okay, Charlie, was wollen Sie?«
    »Sie wissen, weshalb ich hierher gekommen bin. Wo sind sie?«
    Amery nickte langsam. Er signalisierte stillschweigendes Einvernehmen mit Charlie, bestätigte einen Handel, aus dem sie beide mit Würde und Anstand hervorgehen konnten. »Okay, Charlie, du hast gewonnen. Bring meine Tochter und meinen Enkel von hier fort, und tu, was du tun musst. Das ist genau das, was auch ich stets getan habe: das, was ich tun musste. Ich habe immer nur versucht, meine Pflicht zu erfüllen.«
    Noch während er sprach, beugte er sich hinunter und langte nach etwas, das auf dem Boden lag. Es war die Pistole, die Charlie einem der Wachmänner im Irvine-Spectrum abgenommen und die er hatte fallen lassen, als er sich die schwerere Waffe griff, die er nun geschultert hielt.
    »Hey!«
    Diesmal war es Charlie, der überrascht wurde, unvorbereitet auf die Herausforderung, die in der gelassenen Bewegung des anderen lag. Control, noch immer gebeugt und die Hand an der Pistole, sah zu Charlie auf. Der Anflug eines Lächelns lag auf seinen Lippen. Er wusste, dass er sich nun wieder im Vorteil befand, und er genoss es.
    »Was ist, Charlie? Glaubst du ernsthaft, ich lege es auf ein Duell mit dir an? Mach dich nicht lächerlich. Nichts liegt mir ferner.«
    Amery richtete sich ohne Hast auf, bewegte sich in seinem eigenen Rhythmus, kontrollierte die Situation wieder. Prüfend wog er die Pistole in der Hand. »Immer noch ein paar Patronen darin, wie ich sehe. Gut so.«
    »Legen Sie die Pistole hin!«
    Charlie hatte jeden Muskel angespannt, und seine Hand schloss sich fester um den Abzug des Maschinengewehrs.
    Amery lächelte ihn unverhohlen an, fast schien er in Gelächter ausbrechen zu wollen. »Nun mal halblang, Charlie. Und was machst du, wenn ich nicht gehorche? Erschießt du mich?«
    Langsam und bedächtig hob er den Lauf der Pistole an seine Schläfe und hielt inne.
    Charlie beobachtete ihn seltsam fasziniert. Er wusste, dass er hätte eingreifen können. Er hätte Amery ins Bein schießen, ihn auf Dutzende von Arten entwaffnen können, wenn er es gewollt hätte. Das Seltsame war, dass er es nicht wollte. Nicht weil er Amery lieber tot gesehen hätte. Nein, er spürte vielmehr, ohne es genau zu verstehen, dass er nicht das Recht hatte, einzugreifen. Und Amery wusste das.
    »Sag meiner Tochter, dass ich sie liebe. Ich habe es immer getan und werde es immer tun.«
    Entschlossen drückte er den Abzug.
54
    Charlie starrte auf den Leichnam am Boden. Er brauchte nicht nachzusehen: Amery Hyde war zweifellos tot. Charlie fragte sich, was er Susan sagen sollte. Die Wahrheit, natürlich. Aber würde sie ihm glauben?
    Nun, darüber konnte er sich später Gedanken machen. Zuvor musste er das Vorhaben zu Ende bringen, dessentwegen er hierher gekommen

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