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Epsilon

Epsilon

Titel: Epsilon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
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bekannt vorkamen. So roch frische Luft, was ihn hoffen ließ, dass die Quelle des Lichts vielleicht das Tageslicht sein könnte.
    Charlie hielt erneut inne und wartete darauf, dass etwas geschah, dass er eine Falle entdeckte, die er überwinden musste. Doch da war nichts: nur die Andeutung – und sie war inzwischen noch stärker geworden – von Geräuschen und Düften der freien Natur, als hätte jemand irgendwo um die Ecke ein Fenster offen gelassen. Charlie machte ein paar weitere vorsichtige Schritte, und plötzlich weitete sich sein Blickfeld. Er fand sich an der Schwelle zu einem großen Freigelände wieder. Hohe Bäume, meist Eichen und Buchen, raschelten in der lauen Brise. Irgendwo waren Stimmen zu vernehmen. Charlie konnte nicht verstehen, was gesprochen wurde, doch als er genauer lauschte, stellte er fest, dass es bloß ein Grunzen und Heulen war.
    Und dann sah er sie: Sie waren überall verteilt, einzeln oder in Gruppen, einige kletterten auf den Bäumen umher, andere kraulten einander das Fell, hier und da gab es Babys, die miteinander spielten oder sich an ihre Mütter drängten. Es war eine Schimpansenkolonie, grob geschätzt etwa zwanzig bis dreißig Tiere.
    Keines davon schien Charlie bisher bemerkt zu haben, doch er ahnte, dass sich das sehr bald schon ändern würde. Er war ein Außenseiter, und die dominanten Männchen würden ihn als Bedrohung empfinden. Woher er das mit solcher Sicherheit wusste, konnte er nicht sagen, aber er war sich so sicher wie nie zuvor in seinem Leben. Es gab ein dominantes Männchen, möglicherweise auch eine Gruppe, und er musste sich ihm oder ihnen stellen – außer natürlich er ging den Weg zurück, den er gerade gekommen war.
    Doch das war nicht Charlies Art. Außerdem war er sich ziemlich sicher, dass die Tür in seinen Käfig inzwischen wieder verschlossen war. Als man sie öffnete, hatte man einen bestimmten Zweck verfolgt: Man wollte ihn hier mit den anderen Schimpansen zusammenbringen.
    Den anderen Schimpansen? Waren das wirklich gerade seine Gedanken gewesen? Charlie blickte erneut an sich hinab, sah sein dichtes schwarzes Fell, die stark gebeugten Beine mit ihren zum Greifen geschaffenen Zehen, die langen Arme, auf die er sich, wie er erschrocken feststellte, völlig unbewusst stützte und das Gewicht seines Oberkörpers mit den Knöcheln seiner mächtigen Hände auffing.
    Entsetzt stellte er sich aufrecht hin. Es war diese abrupte Bewegung, die die Aufmerksamkeit einiger Affen auf ihn lenkte. Charlie vernahm eine neue Art von Heulen, dringlicher diesmal, mit einer schärferen Färbung. Es wurde von einem Mitglied der Gruppe zum anderen weitergegeben. Charlie sah einen ausgestreckten Arm auf sich gerichtet; dann mehrere, und schließlich ruhten aller Augen auf ihm. Die Luft erbebte inzwischen von Schnattern und Rufen und von hastigen Bewegungen, als die Mütter ihre Kinder in Sicherheit trieben und die anderen Mitglieder der Kolonie ihre jeweiligen Plätze einnahmen.
    Die beiden kräftigen Männchen, die auf ihn zukamen, arbeiteten offensichtlich als Team, dachte Charlie. Es war ersichtlich an der Art und Weise, wie sie die Rollen und Aufgaben innerhalb der Schimpansengruppe verteilten. Der Gruppe, die im Augenblick »wie ein Mann« hinter ihnen stand, wie Charlie nicht ohne einen Anflug von Ironie dachte.
    Denn schließlich war er ein Mann. Dessen war er sich so sicher wie der Tatsache, dass das hier real war, auch wenn er nicht wusste, wie und warum man ihm so etwas antat. Alles war für einen Traum viel zu wirklich; es war eine bemerkenswert lang anhaltende Halluzination. Vielleicht durch Drogen herbeigeführt, vielleicht eine virtuelle Realität, vielleicht auch eine Kombination von beidem. Er wusste von beiden Möglichkeiten wenig, außer dass sie existierten.
    Etwas blitzte im oberen Winkel seines Blickfeldes. Charlie sah auf und entdeckte eine Kamera. Als er sich umschaute, entdeckte er weitere. Sie waren auf langen Stangen angebracht und von einem Schutzzaun umgeben, der wahrscheinlich unter Strom stand, sonst wären die Geräte schon lange heruntergerissen und zerstört worden.
    Die beiden Schimpansenmännchen zogen noch immer eine große Show ab, um Charlie zu beeindrucken. Sie richteten sich zu voller Körpergröße auf, blähten ihre Brust auf und sträubten ihr Fell, sodass sie noch größer wirkten, als sie ohnehin waren. Kurioserweise verspürte Charlie eine Sekunde lang den instinktiven Impuls, es ihnen gleichzutun. Doch er unterdrückte

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