Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Epsilon

Epsilon

Titel: Epsilon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
Vom Netzwerk:
kein Wort.«
    Ein müdes Lächeln huschte über Controls Gesicht. »Das ganze VR-Programm – die ›Affen-Geschichte‹, wie Sie es nennen – hätte bei niemand anderem funktioniert, zumindest nicht so gut. Das Programm basiert darauf, dass Sie entsprechend genetisch vorprogrammiert sind und die Erfahrungen, die das Szenario bot, tatsächlich nachvollziehen konnten.«
    »Ich sehe noch immer nicht, worauf das Ganze…«
    »Das Ganze sollte darauf hinauslaufen«, unterbrach ihn Control, »herauszufinden, als was Sie sich letztendlich fühlen. Wenn Ihnen jegliche Bestätigung von außen fehlt – Sie keinen menschlichen Körper mehr besitzen, ihre Lebensumstände sich völlig geändert haben –, als was würden Sie sich im Geiste sehen?« Er hielt inne und musterte Charlie mit einem fast liebevollen Blick. »Interessant, dass Sie sich offensichtlich stets an den Gedanken geklammert haben, ein Mensch zu sein, oder?«
    Charlie nickte. »Ja, das habe ich wohl.«
    Er vergaß keine Sekunde, dass Control, obwohl er sich ganz entspannt gab, noch immer das kleine schwarze Gerät, den »Zapper«, in der Hand hielt. Zweifellos besaßen auch die Wachen solche Waffen. Charlie wusste, dass physische Gewalt ihm hier nicht weiterhelfen würde.
    »Ich brauche einen Beweis. Bevor ich Ihnen glaube, dass ich ein Schimpanse bin, müssen Sie mir einen Beweis liefern.«
    Control sah ihn eine Weile stumm an, noch immer mit unerwarteter Zuneigung im Blick, aber auch, als versuche er, aus ihm schlau zu werden. Schließlich traf er eine Entscheidung.
    »Charlie, ich denke, ich sollte Sie mit jemandem bekannt machen. Kommen Sie!«
    Control stand auf, klopfte an die Tür, die daraufhin geöffnet wurde, und bedeutete Charlie, ihm zu folgen.
43
    Sie folgten einem langen, fensterlosen Gang. Charlie vermutete, dass er unterirdisch verlief, doch nichts wies darauf hin, wie tief unter der Erde sie sich befanden. Es gab auch keinerlei Hinweise, ob Tag oder Nacht herrschte.
    »Ich glaube, es ist an der Zeit, dass Sie Ihre Eltern kennen lernen, Charlie«, sagte Control.
    Die Vorstellung, seinen Eltern zu begegnen, traf Charlie wie ein Schlag. Nichts hätte ihm einen größeren Schock versetzen können, selbst in seinem jetzigen Zustand nicht, da er schon lange nicht mehr wusste, was Realität war und was nicht. Der Gedanke daran verletzte ihn auf eine Art und Weise, die ihn selbst erstaunte.
    »Eltern? Ich habe keine Eltern«, erwiderte er scharf.
    »O doch, das haben Sie. Ihre Eltern leben, und es geht ihnen gut.«
    Sie bogen in einen weiteren Korridor, und schließlich drückte Control eine Tür auf, in die eine kleine Fensterscheibe eingelassen war. Der Raum, den sie betraten, war unbeleuchtet, dennoch konnte Charlie an einem Ende die Gitterstäbe eines Käfigs ausmachen. Er hörte, wie sich etwas bewegte, und sah, wie sich eine dunkle Gestalt vom Käfigboden erhob. Dann hatte Control endlich den Lichtschalter gefunden, und über ihnen flammten einige Neonröhren auf. Charlie stand tatsächlich vor einem Käfig. Durch die Gitterstäbe hindurch starrte er auf ein ausgewachsenes Schimpansenpaar.
    »Das ist die Wirklichkeit, Charlie, keine virtuelle Realität«, mahnte Control, »also seien Sie vorsichtig, und lassen Sie sich nicht die Hand abbeißen – die beiden erkennen Sie ebenso wenig wie Sie sie.«
    Charlie trat langsam näher an den Käfig heran, ohne dabei die beiden Kreaturen aus den Augen zu lassen. Beide starrten unsicher zurück. Und plötzlich überkam Charlie ein Gefühl, das er nicht kannte und nicht einzuordnen vermochte. Vielleicht, so dachte er, war er nur überwältigt von der Unwahrscheinlichkeit dessen, was ihm hier weisgemacht werden sollte. Oder vielleicht beeindruckte alleine die emotionale Kraft des Wortes »Eltern« jemanden wie ihn, der nie welche gekannt hatte. Doch ganz tief in seinem Innern dämmerte die Erkenntnis, dass das hier die Wahrheit war, dass er tatsächlich seinem eigenen Fleisch und Blut gegenüberstand.
    Die beiden Schimpansen wichen zuerst vor ihm zurück, wobei sie mehr Anzeichen von Misstrauen als von Feindseligkeit an den Tag legten. Aber dann wagte sich das Weibchen trotz aufgeregten, warnenden Schnatterns des Männchens einige Schritte vorwärts, um Charlie besser in Augenschein nehmen zu können. Die Schimpansin neigte den Kopf leicht zur Seite, und aus ihrem Blick sprach sowohl Intelligenz als auch intensive Neugier, als wecke der Anblick dieses menschenähnlichen Fremden irgendeine Erinnerung in ihr.

Weitere Kostenlose Bücher