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Epsilon

Epsilon

Titel: Epsilon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
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Sie begegnete Charlies Blick, kam bis ganz nach vorne ans Gitter und packte die Stäbe mit ihren langen schwarzen Fingern.
    Auch Charlie ging näher heran, ohne den Blickkontakt aufzugeben. Langsam, ganz langsam löste sie eine Hand von den Stäben und streckte sie Charlie entgegen. Es war eine zögerliche Geste, keinesfalls bedrohlich, und als er nicht zurückwich, begann sie ganz sanft die glatte Haut seines Gesichts mit ihren rauen Fingern zu streicheln. Hinter sich hörte Charlie, wie Control leise den Atem einsog.
    »Ist das nicht erstaunlich? Ich kann kaum glauben, dass sie Sie erkennt. Und doch… schauen Sie sich das an!«
    Es dauerte eine Weile, bis Charlie seinen Blick abwandte und sich zu Control umdrehte. Tränen standen ihm in den Augen. »Was haben Sie getan?«, fragte er mit einer Stimme, die kaum mehr als ein Flüstern war. »Was haben Sie nur getan?«
    »Etwas, das die Evolution, hätte man sie ihrem natürlichen Gang überlassen, vielleicht in einer Million Jahre geschafft hätte«, antwortete Control ruhig. »Sie sind nach speziellen Anforderungen erschaffen worden, Charlie. Sie sind ein Held für unsere Zeit. Das Problem mit James Bond und den anderen Superhelden ist, dass sie nur in Büchern und Filmen existieren. Wir brauchen sie hier und jetzt, in der realen Welt, um das zu tun, was kein gewöhnlicher Sterblicher zu tun vermag.«
    »Aber nur, wenn ich dabei keine Fragen stelle. Befehle ausführe, ohne viel darüber nachzudenken – richtig?«
    Control neigte den Kopf zur Seite. Schuldig im Sinne der Anklage, deutete er damit an, ein offenes Eingeständnis ohne böse Gefühle. »Richtig, Charlie. Wir wollen, dass Sie Ihren Verstand einsetzen, aber nur bis zu einem gewissen Grad. Diesen Grad genau zu definieren stellt sich als ein wenig schwierig heraus. Sie sind bereits ein oder zwei Schritte weiter, als wir es für wünschenswert erachten.«
    Charlie sah ihn eine Weile lang stumm an, erstaunt, wie wenig er über diesen Mann wusste. Und möglicherweise über alle anderen Menschen. Schließlich fragte er: »Bin ich der Einzige?«
    »Im Augenblick ja. Wie ich bereits sagte, sind Sie der Prototyp. Wir sind erst im Anfangsstadium.«
    Sie hatten den Käfig und seine Insassen völlig vergessen. Charlie hatte sich umgedreht, war aber nicht von den Gitterstäben weggetreten. Plötzlich und ohne Warnung stieß das Männchen – Charlies Vater, wenn man Controls Worten Glauben schenken wollte – das Weibchen zur Seite und zielte mit einem gewaltigen Schlag nach Charlies Kopf. Nur ein übermenschlich schneller Reflex rettete Charlie davor, getroffen zu werden, und im gleichen Moment erkannte er, dass Control tatsächlich die Wahrheit gesagt hatte: Er, Charlie, war kein Mensch; er konnte es gar nicht sein. Er sprang zur Seite, eher schockiert von dem, was er gerade über sich selbst erfahren hatte, als von der Bösartigkeit des Angriffs.
    Das Affenmännchen spürte, dass es eine Art Sieg errungen hatte, begann kreischend auf und ab zu springen und sich schließlich in wildem Macho-Gehabe von Gitterstab zu Gitterstab zu schwingen.
    Charlie beobachtete den Schimpansen gleichermaßen erschreckt und fasziniert. Dann hörte er hinter sich Control sagen: »Kommen Sie, Charlie.« Und in seiner Stimme lag jetzt ein Anflug von Mitgefühl. »Ich glaube, Sie haben genug gesehen. Lassen Sie uns gehen.«

    Fünf Minuten später saßen sie wieder in Charlies Zelle, jeder an seinem alten Platz.
    »Wie lange werden Sie mich hier behalten?«, fragte Charlie.
    »Nicht lange, hoffe ich. Ich muss nur einige Leute davon überzeugen, dass Sie sich vernünftig verhalten werden, wenn wir Sie hinauslassen. Das verstehen Sie sicher.«
    »Solange Sie diesen Zapper haben, habe ich wohl keine andere Wahl, oder?«
    Control schenkte ihm erneut ein gezwungenes Lächeln und schlug die Beine in gewohnter Weise übereinander: den Fußknöchel auf dem Knie des anderen Beines. »Nein, das haben Sie wohl nicht. Aber uns wäre es lieber, Sie würden sich freiwillig gut benehmen. Das können Sie doch verstehen, oder?«
    Charlie erhob sich und stieß ein bitteres Lachen aus. »Verstehen!« Er begann auf und ab zu gehen, wobei er sich unablässig mit der Hand durchs Haar fuhr, als hoffe er, dadurch klarer denken zu können. »Sie erzählen mir, dass meine gesamte Kindheit nie… stattgefunden hat. Das Waisenhaus. Nichts, gar nichts. Bis zu der Farm.«
    »Das ist richtig, Charlie.«
    »Aber wo war ich all die Zeit?«
    »In einem Labor. In diesem

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