ePub: Der letzte Zauberlehrling
Mit breiten Besen und pumpenbetriebenen Wasserspritzen säuberten sie die Bahnsteige und die Halle. Ich döste vor mich hin, bis am Morgen der erste Zug an meinem Gleis einlief. Dann machte ich mich im Waschraum frisch und frühstückte in einem der vielen Bahnhofscafés, bevor ich mich zu meinem Gleis begab.
Anstatt den Bahnhof pünktlich um acht Uhr zu verlassen, standen wir über zwei Stunden herum. Zunächst informierte uns der Schaffner, dass die Lokomotive einen Schaden habe und ausgewechselt werden müsse. Dann kamen die Langmäntel der Sicherheitspolizei durch die Reihen, und ich machte mich in meinem Sitz so klein wie möglich, um bloß nicht aufzufallen. Aber sie waren nicht hinter mir her.
Schließlich rollte unser Zug aus dem Bahnhof, nur um eine Stunde später erneut in einem Vorortbahnhof aufgehalten zu werden. Auch diesmal kontrollierten Beamte der Sicherheitspolizei die Wagen und baten mehrere Fahrgäste mit sich hinaus. Die meisten von ihnen kamen nach einer gewissen Zeit wieder zurück, und schließlich konnten wir unsere Reise fortsetzen.
Ich erreichte mein Ziel erst am späten Nachmittag statt, wie geplant, um die Mittagsstunde. Auf dem Bahnsteig sog ich die frische Luft ein und blickte mich zur Sicherheit um, aber weit und breit war kein Polizist zu entdecken.
Ich fragte mich, wie Gordius meine Rückkehr aufnehmen würde. Sicher würde er überrascht sein. Aber wenn ich ihmerst einmal von der Situation in Paris berichtete, dann würde er mich wieder bei sich aufnehmen, da war ich mir ganz sicher.
Der Bahnhof sah noch genauso aus, wie ich ihn vor wenigen Monaten verlassen hatte, nur dass diesmal niemand im Wartesaal saß und kein Tucker mit seinem Lastwagen am Vorplatz stand. Ich trat vor die Tür und blickte über die Felder, die sich ringsum erstreckten. Das Korn stand hoch, und es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Bauern mit der Ernte beginnen würden. Zur Erntezeit herrschte bei Gordius immer Hochbetrieb. Er war nicht nur der Zauberer der Gegend, sondern auch der Arzt, und ich hatte während meiner Zeit bei ihm gelernt, kleinere Verletzungen und Wehwehchen selbstständig zu behandeln. Gordius nahm kein Geld für seine Arbeit, aber die Bauern der Umgebung sorgten dafür, dass seine Speisekammer immer gut gefüllt war.
Vor meinem inneren Auge stiegen die Bilder aus der Vergangenheit auf. In Paris hatte ich kaum einmal daran gedacht, denn es strömte so viel Neues auf mich ein, dass ich Mühe hatte, das alles zu verarbeiten. Aber jetzt, da mir der milde Abendwind den Duft von frisch gemähtem Gras in die Nase wehte, sah das anders aus. Wie oft hatte Tucker Gordius und mich abgeholt und mit unseren Notfalltaschen auf die Felder gefahren, wenn sich wieder einmal einer der Erntehelfer mit einer Sense verletzt hatte oder sich den Fuß unter einem Anhänger eingequetscht hatte.
Ich nahm Horatio aus der Jackentasche und setzte ihn auf meine Hand. »Riechst du die Heimat?«, fragte ich. »Bald wirst du wieder in deinem geliebten Garten umherlaufen können.«
Er sah mich aus seinen Knopfaugen an, und es schien mir, als nickte er. Zumindest für ihn würde das Leben ab sofort wieder besser werden. Ich steckte ihn zurück in meine Jacke und machte mich auf den Weg in mein Dorf. Es hatte lange nicht geregnet und mit jedem meiner Schritte wirbelte ich eine kleine Staubwolke auf. Rechts und links von mir raschelte es in den Feldern, wenn die Mäuse vor meinen Schritten flüchteten. Gegen den Abendhimmel zeichnete sich die Silhouette eines Falken ab, der langsam seine Kreise zog.
Auf die Weizenfelder folgten Maisfelder, deren Stängel mich an Höhe bereits überragten. Wie grüne Mauern schlossen sie die Straße ein. Ich hielt an, um einen Maiskolben zu pflücken. Dabei fiel mir ein Trampelpfad auf, den jemand in das Feld geschlagen hatte. Es sah so aus, als habe man etwas Schweres hier entlanggeschleift. Neugierig machte ich einen Schritt ins Feld hinein. Die Dämmerung war schon hereingebrochen, und wenn ich vor der Dunkelheit im Dorf sein wollte, musste ich mich sputen, aber irgendetwas trieb mich dazu, dem Pfad zu folgen. Ich setzte meine Tasche am Wegrand ab und schlug mich in das Feld.
Die letzten Sonnenstrahlen fanden kaum noch ihren Weg durch die hohen Maisstauden, und so erkannte ich im Zwielicht nicht, was da auf einmal vor mir auftauchte. Ich hielt an und kniff die Augen zusammen. Es war ein Paar Schuhe.
Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass in den Schuhen Füße
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