ePub: Der letzte Zauberlehrling
ihm schon helfen.«
»Und ich bin der Feigling, der seinen Meister im Stich lässt.« Seine Stimme klang bitter.
»Unsinn«, versuchte ich ihn zu beruhigen. »Wenn du nach Hause zurückkehrst, dann hilfst du ihm sogar, weil ihr dann in drei Abteilungen aufgeteilt seid. Du kennst doch sicher den Grundsatz des Guerillakriegs: getrennt marschieren, vereint schlagen. Du machst das ganz richtig.«
Ich musste eine weitere halbe Stunde auf ihn einreden, bevor er sich zu einem endgültigen Entschluss durchrang. Wir kehrten zum Haus von Prometheus zurück, wo der Alte wieder mit seinem Fusel am Tisch hockte. Einen Moment lang fürchtete ich, der Kleine würde umkippen, aber er nahm sich zusammen und packte seine paar Habseligkeiten.
»Ich wünsche Ihnen alles Gute, Meister«, sagte er, als er wieder aus seinem Zimmer kam. »Und ich hoffe, Sie sind nicht böse auf mich.«
Der Alte tat so, als habe er ihn nicht gehört. Der Kleine kämpfte mit den Tränen, hielt sich aber tapfer. Jetzt eine Szene, das hätte noch gefehlt! Er wartete einen Moment, aber nachdem er merkte, dass der Alte nichts mehr sagen würde, drehte er sich zu Samira um, um sich von ihr zu verabschieden. Sie sagte, wie immer, kein Wort, sondern starrte den Kleinen nur an. Unschlüssig stand er noch eine Weile im Raum herum, bis er sich schließlich auf den Weg zum Bahnhof machte.
Jetzt stand meinem Plan nichts mehr im Weg.
Zwölftes Kapitel
in dem Humbert erkennt, dass er einen Fehler gemacht hat
A ls ich als einziger Passagier aus dem Zug stieg, erfasste mich ein tiefes Gefühl der Wehmut. Eigentlich hätte ich Freude empfinden müssen, wieder zu Hause zu sein, aber stattdessen war ich hin- und hergerissen. Auf einmal empfand ich Sehnsucht nach Paris, das ich noch vor wenigen Stunden verlassen wollte. Mir wurde deutlich, wie sehr ich mein früheres Leben in den letzten Monaten hinter mir gelassen hatte. Alles hier war mir vertraut – und zugleich doch merkwürdig fremd. Noch immer steckte mir der Abschied von meinen Freunden in den Knochen. Bis zur letzten Sekunde war ich geneigt gewesen, mein Vorhaben aufzugeben und zu bleiben. Doch eine kleine Episode bei unserem Gespräch hatte mich dazu gebracht, Lothars Empfehlung zu folgen.
Es war während der Diskussion um ein mögliches Untertauchen von Prometheus. Papillon hatte gemeint, er kenne da vielleicht ein geeignetes Versteck, wolle das nur noch näher nachprüfen. Ich hatte ihn gefragt, wo sich dieses Versteck befinden würde.
»Es ist besser, wenn du das nicht weißt«, hatte er geantwortet und war dabei meinem Blick ausgewichen, was ganz ungewöhnlich für ihn war.
»Ach.« Seine Antwort verletzte mich mehr, als es ein Messerstich getan hätte. »Du traust mir also nicht.«
»Das ist es nicht«, versicherte er schnell. Aber sein Blick sagte etwas anderes.
»Je weniger Leute wissen, wo das Versteck ist, desto besser«, sprang ihm Agnetha bei. »Was man nicht weiß, kann man auch nicht verraten, wenn einen die Sicherheitspolizei in die Finger kriegt.«
»Das gilt für euch doch mehr als für mich«, wollte ich widersprechen, doch ich verkniff es mir. Durch meine Entscheidung, mich nicht am Widerstand zu beteiligen, war ich nicht mehr einer von ihnen . Und deshalb teilten sie ihre Geheimnisse auch nicht mehr mit mir.
Ich hatte mich selten so einsam gefühlt wie am gestrigen Abend, als ich zum Bahnhof ging. Das Treiben auf den Straßen und Plätzen der Stadt erschien mir wie das unerbittliche Ticken einer Uhr, die langsam, aber sicher ablief. Bei meiner Ankunft am Ostbahnhof war es bereits dunkel, aber der Strom der Reisenden war genauso stark wie tagsüber. Der nächste Zug an meinen Bestimmungsort fuhr erst am kommenden Morgen, und so suchte ich mir einen Platz auf einer der Holzbänke auf den Bahnsteigen, um dort die Nacht zu verbringen.
Die ersten Stunden blieb ich noch wach und beobachtete meine Umgebung. Fast im Minutentakt liefen Züge ein und aus, entluden Unmengen von Passagieren oder nahmen sie auf. Zweimal sah ich Beamte der Sicherheitspolizei in ihren langen Mänteln durch die Halle eilen und einmal liefen drei von ihnen an mir vorbei und sprangen auf einen bereits auslaufenden Zug. Irgendwann leerte sich dann der Bahnsteig und ich konnte Horatio ein wenig Auslauf gönnen.
Lange nach Mitternacht erstarb der Lärm in der Halle, und außer mir waren nur noch ein paar Reisende anwesend, die ebenfalls auf einen Frühzug warteten. Jetzt übernahmen die Reinigungskräfte das Kommando.
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