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ePub: Der letzte Zauberlehrling

ePub: Der letzte Zauberlehrling

Titel: ePub: Der letzte Zauberlehrling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruebenstrunk
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wuchtete ich Tucker hoch und schleppte ihn zu dem großen Sofa neben dem Kamin. Er versuchte, etwas zu sagen, als ich ihn zudeckte, aber ich legte den Zeigefinger vor die Lippen und bedeutete ihm, seine Kräfte zu schonen. Wir konnten auch am Morgen noch reden, und bis dahin war vielleicht auch Gordius wieder eingetroffen.
    Leise zog ich mich in mein altes Zimmer zurück, das noch genauso aussah, wie ich es verlassen hatte. Ich gab Horatio ein paar Körner und stellte ihm ein Schälchen mit Wasser hin. In der Küche hatte ich noch einen verschrumpelten Apfel gefunden, von dem ich ihm ebenfalls ein paar Stückchen gab. Dann fiel ich aufs Bett und schlief sofort ein.
    ***
    Ich wurde durch einen Sonnenstrahl geweckt, der mir auf der Nase herumtanzte. Einen Augenblick lang wusste ich nicht,wo ich mich befand. Dann fiel mir alles wieder ein. Ich sprang auf und lief in den Wohnraum. Tucker lag auf dem Sofa und schnarchte leise vor sich hin. Auf Zehenspitzen durchquerte ich das Zimmer und stieg die Treppe hoch. Vor Gordius’ Tür hielt ich an und klopfte.
    Als er auch nach mehrfachem Klopfen nicht öffnete, stieß ich die Tür auf. Das Zimmer war leer. Mehr noch, es sah so aus, als habe sich hier schon seit langer Zeit niemand mehr aufgehalten. Das wunderte mich sehr. Soweit ich mich erinnern konnte, war Gordius während meiner Lehrzeit keine einzige Nacht weg gewesen, geschweige denn auf Reisen gegangen. Vielleicht wusste Tucker mehr darüber.
    Ich lief die Treppe hinunter, schlich leise zur Vordertür hinaus und pflückte ein wenig frisches Grün, das ich Horatio in seinen Stall legte. Dann begab ich mich in die Küche und bereitete einen Tee für Tucker und mich. Ich durchstöberte die Schränke nach etwas Essbarem, entdeckte aber außer ein paar trockenen Keksen nichts.
    Als ich mit dem Tee und den Keksen ins Wohnzimmer kam, hatte Tucker sich auf dem Sofa aufgerichtet. Ich stellte das Tablett auf dem Tischchen neben ihm ab.
    »Geht’s dir wieder besser?«, fragte ich.
    Er nickte stumm, fasste sich aber sofort an den Kopf und verzog das Gesicht.
    »Ich vermute, du hast eine kleine Gehirnerschütterung«, sagte ich sorgenvoll. »Du solltest den Kopf nicht zu schnell bewegen.«
    »Schon gut, es geht schon wieder. Mein Schädel hält einiges aus.« Er streckte vorsichtig den Arm nach der Teetasse aus.
    »Du hast Glück gehabt, dass ich zufällig vorbeigekommen bin.« Ich wartete, bis er einen Schluck genommen hatte, bevor ich die Frage stellte, die mir seit gestern Abend auf der Zunge brannte. Gewalt, Diebstahl und andere Straftaten waren in dieser Gegend so gut wie unbekannt. Es gab zwar einen Polizisten im Dorf, aber der war zumeist damit beschäftigt, die Verkehrstüchtigkeit der Fahrzeuge zu überprüfen. Sonst hatte er nicht viel zu tun. »Wer um alles in der Welt hat dich so zugerichtet?«
    »Das ist eine längere Geschichte.« Tucker ließ sich wieder in das Polster zurücksinken. »Und eine traurige dazu.«
    Ich bekam einen Kloß im Hals. Tuckers Gesichtsausdruck ließ mich ahnen, was nun kommen würde. »Gordius ...?«
    »Ist eine Woche nach deiner Abreise gestorben. Wir haben versucht, dich zu benachrichtigen, hatten aber keine Anschrift, wo wir dich hätten erreichen können.«
    Der Kloß im Hals nahm mir die Sprache. Wie oft hatte ich mir in Paris vorgenommen, Gordius zu schreiben. Aber irgendwie hatte ich nie die Zeit dafür gefunden. Oder sie mir nie genommen, denn die paar Minuten hätte ich sicherlich gehabt. Es war unwesentlich, ob die Nachricht Gordius noch erreicht hätte. Entscheidend war, dass ich nicht daran gedacht hatte. Es kam mir in diesem Moment wie ein Verrat an meinem alten Lehrmeister vor.
    »Er war alt, und er hat dich weggeschickt, weil er sein Ende nahen spürte«, fuhr Tucker nach einer Weile fort. »So schnell hat allerdings keiner von uns damit gerechnet.«
    Ich fand meine Sprache wieder. »Und was habt ihr mit ihm gemacht?«, fragte ich.
    »Wir haben ihn verbrannt, wie es sein Wunsch war, und die Asche im Wald verstreut. Es war ein würdiger Abschied. Fast alle aus dem Dorf waren da.«
    Mir zog sich erneut die Kehle zusammen. Alle waren da gewesen – nur ich nicht, der ich acht lange Jahre mit ihm zusammengelebt hatte! Mein Verstand sagte mir, dass ich es sowieso nicht rechtzeitig geschafft hätte, zu seiner Einäscherung zurück zu sein, aber das änderte nichts an meinen Schuldgefühlen. Vor allem, als ich Tuckers nächste Worte hörte.
    »Er hat dich als Erben eingesetzt, Humbert.

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