ePub: Der letzte Zauberlehrling
etwas führt. Der uns aber alle ins Gefängnis bringen kann.«
»Aber ...«, begann Agnetha, doch Prometheus schnitt ihr das Wort ab.
»Gib dir keine Mühe, Mädchen. Humbert hat einen neuen Beruf gefunden. Er ist kein Zauberlehrling mehr, sondern Moralapostel. Er sagt anderen Leuten, wie sie leben sollen, und nimmt sich heraus, uns belehren zu wollen, was gut oder schlecht ist. Du kannst ihn nicht überzeugen.«
Der Alte stand ebenfalls auf. Zum ersten Mal blickte er den Kleinen an. »Reisende soll man nicht aufhalten, sagt man.« Er nahm die Weinflasche und setzte sie an den Mund, ohne den Kleinen aus den Augen zu lassen. Langsam ließ er die letzten Tropfen seine Kehle herunterrinnen. Dann schleuderte er die Flasche vor die Füße des Kleinen, wo sie in tausend Splitter zersprang. Der Alte drehte sich um und verschwand wortlos in seinem Zimmer.
Keiner sagte ein Wort. Alle waren von dem Ausbruch des Alten sichtlich geschockt. Lediglich Samira tauchte mit einer Kehrschaufel und einem Handfeger auf und begann, die Scherben zusammenzufegen.
»Tja, ich glaube, wir gehen dann mal«, sagte Papillon schließlich und stand auf. Agnetha folgte seinem Beispiel.
»Überleg es dir doch noch mal, Humbert«, sagte sie. »Prometheus wird sich bestimmt wieder beruhigen.«
Der Kleine reagierte nicht. Er hatte wohl nicht mit einer derart heftigen Reaktion des Alten gerechnet. Als die beiden zur Tür gingen, brachte er gerade einmal ein winziges Kopfnicken zustande. Ich merkte, dass mein Eingreifen erforderlich war, und kam aus meiner Ecke hervor. Dabei achtete ich sorgsam darauf, nicht in einen übrig gebliebenen Glassplitter zu treten.
»Wir sollten reden«, sagte ich.
Er betrachtete mich mit einem leeren Ausdruck im Gesicht.
»Reden. Das ist das, was intelligente Lebewesen machen, wenn sie miteinander kommunizieren wollen.«
Langsam erwachte er aus seiner Starre. Ich machte ihm ein Zeichen, mir zu folgen. Was ich zu sagen hatte, musste niemand mithören. Er holte ein paar Mal tief Luft und folgte mir dann.
Während wir die Gassen zur Seine hinabgingen, rang ich mit meiner Entscheidung. Als wir das Flussufer erreichten, wusste ich, was ich zu tun hatte. Er setzte sich auf eine Bank und ich sprang neben ihn. Langsam wurde es dunkel. Auf dem Fluss zogen die letzten Schlepper ihre Lastkähne zu den Liegeplätzen für die Nacht und schleuderten dabei dicke Rauchwolken in die Luft. Der Kleine sah angespannt aus. Ich musste jetzt vorsichtig sein, denn dies war ein entscheidender Moment für meine Zukunft. Also schwieg ich zunächst. Vielleicht würde er ja selbst auf das Thema zu sprechen kommen.
Er stieß einen lauten Seufzer aus. Ich war froh, dass wir Dämonen von diesen Gefühlen frei waren, die den Menschen den klaren Verstand vernebelten. Das zeigte wieder einmal, auf welcher niedrigen Entwicklungsstufe sie sich befanden. Andererseits war das unser Glück. Wären die Menschen rationale Wesen, dann hätten sie schon längst dieselben Fähigkeiten wie wir und wären damit zu einer Bedrohung für uns geworden.
Allerdings war es unseren besten Wissenschaftlern bislang noch nicht gelungen, den Dimensionskorridor so weit zu öffnen, dass wir die Erde hätten kolonisieren können. Es war zwar möglich, Einzelne wie mich hindurchzuschicken, aber das war ein Weg ohne Rückkehr. Seit meiner Ankunft hier waren mehrere Tausend Jahre vergangen, doch unsere Wissenschaft hatte sich noch nicht so weit entwickeln können, um diesen Schritt zu ermöglichen. Was vor allem daran lag, dass ich damals, vor meiner Verbannung, einen kleinen Zahlendreher in alle wesentlichen Berechnungen eingebaut hatte, der meine Kollegen wahrscheinlich immer noch davon abhielt, große Fortschritte in dieser Richtung zu machen.
Ich weiß, das war nicht gerade die feine Art. Und man könnte fragen, warum ich das getan habe, obwohl ich mir doch damit selbst die Rückkehr in meine Heimatdimension verbaute. Die Antwort ist ganz einfach: Als ich den Fehler einflocht, ahnte ich nichts von meiner Verbannung. Ich wollte lediglich meine Kollegen ein wenig in ihrer Arbeit bremsen, um dann mit meinen Ergebnissen zu triumphieren. Das hatte ich zwar nicht nötig, denn ich war der brillanteste Wissenschaftler meiner Generation, das darf ich in aller Bescheidenheit sagen. Aber es kann nie schaden, hier und da noch ein wenig nachzuhelfen, oder? Nichts anderes hatte ich in den letzten Jahrtausenden hier auf der Erde getan, und jetzt stand die Krönung meiner Arbeit kurz
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