ePub: Der letzte Zauberlehrling
davon abzuhalten, die Blumenbeete rund ums Grand Palais zu zertrampeln.
Entmutigt ließ ich das Blatt sinken. Wie sollte ich bei so vielen Polizisten bis ans Tor des Palastes kommen, um mir einen neuen Meister zu suchen?
»Du weißt es nicht, was?«, fragte Ignatius hämisch, als er meinen ratlosen Blick bemerkte.
»Was sollte ich wissen?« Ich gab ihm die Zeitung zurück.
»Es wird von heute ab keine Meister mehr geben«, sagte ermit einem triumphierenden Grinsen. »Du kannst ebenso gut hierbleiben und in deine Waldhütte zurückkehren.«
Seine Schwester hatte unserem Wortwechsel bislang schweigend zugehört. Jetzt mischte sie sich ein. »Sei nicht so gemein, Iggy«, wies sie ihn zurecht. Aber ihr Bruder fuhr fort.
»Es ist nur die Wahrheit, Aggy. Oder stimmt es etwa nicht, dass Pompignac den Zauberern ihre Zaubersprüche abgekauft hat?«
Ich erstarrte. Sollte Tucker mit seiner Vermutung doch richtigliegen? Aber was würde dann aus mir werden? Ohne einen Meister konnte ich in Paris nicht überleben. Geld hatte ich bislang zwar auch nicht verdient, aber bei Gordius hatte ich zumindest ein Dach über dem Kopf, drei Mahlzeiten am Tag und ab und an ein wenig Taschengeld bekommen. Ob ich zu ihm zurückkehren sollte? Er würde mich gewiss nicht vor die Tür setzen. Andererseits sträubte sich etwas in mir dagegen, so einfach den Rückzug anzutreten. Gordius hatte mich nicht fortgeschickt, nur damit ich einen Tag später wieder bei ihm vor der Tür stand. Er setzte Hoffnungen in mich, sonst hätte er mich nicht nach Paris geschickt. Ich wollte ihn nicht enttäuschen.
»Ich fürchte, Iggy hat recht«, bestätigte Agnetha die Worte ihres Bruders.
Ignatius lächelte selbstgefällig. »Jacques Pompignac ist ein guter Freund unseres Vaters«, sagte er. »Deshalb wissen wir auch, was in der Bekanntmachung steht, von der in dem Artikel die Rede ist. Pompignac hat nämlich die Zaubersprüche aller Zauberer aufgekauft und wird sie in Zukunft allein vermarkten.«
Ich blickte hilflos zu Agnetha. Sie nickte. »Es stimmt, was Iggy sagt.«
»Und warum fahrt ihr dann nach Paris?«, stieß ich hervor.
»Unser Vater hat uns eine Arbeitsstelle bei Pompignac besorgt«, erklärte Ignatius und man konnte deutlich den Stolz in seiner Stimme hören. »Das ist die Zukunft der Zauberei. Moderne Produktions- und Vertriebsmethoden von Zaubersprüchen, nicht dieses altmodische Herumwerkeln.«
Ich verstand nicht genau, was er damit meinte. Bevor ich nachfragen konnte, hörten wir aus der Ferne das Pfeifen einer Lokomotive.
»Wir sollten auf den Bahnsteig gehen«, sagte Agnetha. Ihr Bruder steckte die Zeitung ein und nahm seine Reisetasche. Ich folgte den beiden mit gesenktem Kopf.
Wenn das stimmte, was ich soeben erfahren hatte, dann sah es für meine Zukunft ziemlich düster aus. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass vielleicht nicht alle Zauberer an Pompignac verkauft hatten und es doch noch einige gab, die neue Schüler aufnahmen. Es war eine verzweifelte Hoffnung, aber sie war im Augenblick alles, was ich besaß.
Drittes Kapitel
in dem Humbert eine neue Freundin und einen neuen Freund findet
A gnetha und Ignatius besaßen Fahrkarten für die erste Klasse, während ich mit den Holzbänken der dritten Klasse vorliebnehmen musste. Der Zug war um die Mittagszeit nicht besonders voll, und ich hatte einen Platz am Fenster gefunden, von dem aus ich die vorbeiziehende Landschaft beobachten und darüber nachdenken konnte, was ich tun würde, sollte ich tatsächlich keine Lehrstelle finden.
Wir waren mehrere Stunden gefahren, als Agnetha auf einmal neben mir auftauchte. Ohne ein Wort setzte sie sich auf die Holzbank mir gegenüber.
»Iggy langweilt mich«, sagte sie. »Ständig schwärmt er mir vor, was wir bald für eine Karriere machen werden.«
»Das werdet ihr doch auch«, erwiderte ich. »Wenn es stimmt, was dein Bruder sagt.«
Agnetha machte eine abfällige Handbewegung. »Doch, doch, das ist schon so. Ab morgen gibt es keine Zauberer mehr, nur noch Pompignac. Aber was bedeutet das?«
Ich war mir nicht sicher, ob sie auf ihre Frage eine Antwort erwartete oder nicht.
»Es gibt keine Zauberlehrlinge mehr«, sagte ich schließlich.
»Das auch. Aber es heißt vor allem eines: Das Leben wird langweiliger. Keine Zauberer mehr, die sich gegenseitig zuübertrumpfen versuchen; keine Vielfalt mehr; keine überraschenden Entwicklungen. Es gibt nur noch die Monotonie von Pompignac.«
»Ich dachte, du freust dich darüber, eine Stelle
Weitere Kostenlose Bücher