ePub: Drachenhaut (German Edition)
Angriff.
Die Türriegel schnappten auf. Lilya fuhr zusammen und auch der Panther wurde für einen Moment abgelenkt.
Aspantaman trat ein und gab mit der Tür Lilya Deckung, die sich beinahe ohnmächtig vor Erleichterung dahinter an die Wand presste. Sie hörte, wie der Erzieher mit sanfter, dunkler Stimme den Prinzen anrief. »Ruhig, Amayyas. Ganz ruhig. Schau hier, ich habe dir etwas zu essen gebracht.« Die Tür schloss sich wieder und Lilya tat einen kleinen, erschreckten Ausruf.
Aspantaman zuckte zusammen, aber er wandte sich nicht um. Er sah nach wie vor den Pantherprinzen an, der mit peitschendem Schwanz und angespannten Muskeln auf dem Boden kauerte. »Ruhig, mein Junge«, sagte Aspantaman beherrscht. »Ich bin es. Und hier ist dein Essen. Sieh her.« Er ging langsam in dieKnie, ohne den Panther aus den Augen zu lassen, und schob die Platte mit Fleischbrocken, die er in den Händen hielt, mit einer ruhigen, gleichmäßigen Bewegung auf den Panther zu. Dann richtete er sich halb wieder auf, tat einen Schritt rückwärts und deckte Lilya mit seinem breiten Rücken. »Bleib ruhig, wer immer du bist«, hörte sie ihn sagen. »Er wird mir nichts tun.« Die Gewissheit in der Stimme des Obersteunuchen ließ die Anspannung aus ihren verkrampften Gliedern weichen. Sie seufzte lautlos und sackte gegen die Wand.
Sie hörte, wie der Prinz sich über das Fleisch hermachte, es zerriss und hinunterschlang. Ihr wurde übel. Das war es, was ihr Großvater für sie geplant hatte. Warum nur?
»Ich bringe dich jetzt hinaus«, hörte sie Aspantaman murmeln. »Bleib hinter mir, was immer auch geschieht.« Er schob sich schrittweise zur Tür. Dann blieb er abrupt stehen und hob abwehrend die Hände. »Amayyas«, sagte er laut. »Ich bin es. Aspantaman. Dein Freund.«
Lilya konnte wieder denken. Sie tastete fahrig über ihr Schlüsselbein, fand das Zeichen, fühlte, wie es in ihre Finger glitt und an den Fingerspitzen kribbelte. Sie schob sich an dem Erzieher vorbei, der erschreckt nach ihr greifen und sie wieder hinter sich drängen wollte, machte sich frei und schickte das Zeichen wie zuvor auf den Prinzen, der geduckt vor ihnen stand. Dieses Mal gewann es stärkere Festigkeit und Leuchtkraft als zuvor, war größer und löste sich mit einem scharfen Prickeln von ihrer Hand.
»Was ist das?«, fragte der Erzieher, der dem Zauberzeichen misstrauisch und gespannt mit den Augen folgte. »Kann es ihm schaden?«
»Nein, nein«, flüsterte Lilya unsicher. Das Zeichen sah verändert aus. Hatte nicht vorher ein gerader Strich an der Stelle gesessen, wo jetzt ein einwärtsgebogener Haken war? Und dort, dieser Schnörkel, war er vorher auch schon da gewesen?
Wieder flammte das Zeichen auf, als es den Kopf des Panthers erreichte. Es fraß sich durch Pelz und Fleisch und versank.
Der Panther zuckte und legte die Ohren so flach an den Kopf, dass sie beinahe verschwanden. Wellen liefen durch sein Fell, seine Muskeln spannten sich und wurden wieder locker. Er verdrehte die Augen, riss das Maul auf, schnappte nach Luft. Seine Krallen scharrten krampfhaft über den Boden.
»Du hast gesagt, es schadet ihm nicht!«, brüllte der Erzieher und packte Lilya. Er riss sie zu sich herum und rief: »Du bist es? Lilya?«
Seine Hände brachen ihr beinahe die Knochen. Sie schrie auf und versuchte, sich freizumachen, aber die kräftigen Finger des Eunuchen gruben sich noch tiefer in ihr Fleisch. Er schüttelte sie unsanft. »Mach es rückgängig, was auch immer du mit ihm angestellt hast, du Hexe!«
»Lass sie los, Aspantaman«, sagte eine müde Stimme.
Der Erzieher lockerte erschreckt seinen Griff und fuhr herum. Lilya rieb sich die schmerzenden Arme und blickte verblüfft auf den Prinzen, der in der Mitte des Zimmers hockte, zwischen Fleischfetzen und blutbesudelten Kissen. Sie blinzelte mehrmals, um zu prüfen, ob ihr besonderes Auge ihr wieder beides zeigte, Prinzen und Panther, aber das Bild blieb scharf und die Raubkatze war verschwunden.
»Amayyas«, rief der Eunuch erstickt aus. Er fiel vor dem jungen Mann auf die Knie und umarmte ihn. »Du bist ein Mensch!«
»Es sieht so aus«, erwiderte der Prinz. Er schaute zu Lilya aufund griff nach einer blutbefleckten Decke, in die er sich hastig hüllte. Lilya spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde, aber sie wandte den Blick nicht ab.
»Hat Kobad das bewirkt?«, fragte Aspantaman, dem Tränen in den Augen standen. »Muss ich ihn rufen, damit er sein Werk sehen und sich dafür loben lassen
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