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Equinox

Equinox

Titel: Equinox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Käptn knurrig macht, der den Klimperffitzen tatsächlich für einen Künstler oder sogar einen Pianisten zu halten scheint. Und, Kristof, Miss Lovejoy hat mich«, er hielt mir das klobige Tragbare hin, das wir eigentlich alle mit uns herumschleppen sollten, »fünf Mal allein in den letzten dreißig Minuten angerufen und nach Jochen und dir verlangt. Scheint euch für …«, Antonov wischte sich über ein Auge, als müsse er eine heimliche Träne entfernen, »… irgendwie maskuliner zu halten, als es, äh, andere hier an Bord tun.«
    Jochens malträtierter Arsch, natürlich. Ha-ha. Ein genervtes Seufzen war alles, was mir dazu einfiel.
    »Also«, flüsterte er und rückte mir auf die Pelle, »beeilt euch besser mit eurer Arbeit. Dieses ganze Gemecker kann jederzeit ihm zu Ohren kommen«, Antonov deutete vielsagend Richtung Brücke, »und von da fällt es auf mich zurück.« Wieder packte er meinen Arm, fester, diesmal. »Und glaube mir, mein Junge, wenn ich Ärger kriege, dann gebe ich den weiter, und zwar potenziert um den Faktor zehn. Habe ich mich klar ausgedrückt?« Ich nickte.
    »Und noch was«, sagte er, im Begriff, wegzugehen in eine der stilleren Bordkneipen, in denen er sich die meiste Zeit herumzudrücken pflegte, »lüftet mal ein bisschen besser in eurem Liebesnest.«
    Ich sah ihm hinterher, lehnte mich gegen die Reling, atmete tief durch und fragte mich, wo die ganze Hektik so plötzlich hergekommen war. Erst gestern noch hatte ich mich bis zum Umfallen gelangweilt.
    Wir passierten eine der zahllosen von oben so harmlos aussehenden Fischfarmen. Käfig-Lachs produzieren sie da. Furchtbar. Hühner, zum Beispiel, haben keine größeren Bedürfnisse als ein bisschen Dreck zum Scharren und Picken. Ihnen das nicht zu gewähren kommt mir schon grausam vor. Lachse hingegen sind genetisch dazu bestimmt, von einem Fluss aus eine weltumspannende Reise durch die Weltmeere zu unternehmen, ein Leben in grenzenloser Freiheit, bevor sie an den Ort ihrer Geburt zurückkehren, um zu laichen und zu sterben. Das unbeschreibliche Sehnen schien aus diesen voll gepferchten Netzkäfigen zu mir aufzusteigen wie ein leises Wimmern, und ich musste mich wegdrehen, um nicht in Depression zu verfallen.
     
    »Such es dir aus, Jochen«, schloss ich meinen kleinen Vortrag. »Was willst du lieber wieder herbeizaubern: den Schmuck oder den Reis?«
    Jochen zog sich missmutig seine neue Hose zurecht. Trotz allen Maßnehmens durch den Bordschneider schienen sie ihm eine mit etwas zu kurzen Beinen verpasst zu haben. Er machte den Gürtel ein Loch weiter und es ging, so gerade.
    »Da ist doch irgendein Trick dahinter«, mutmaßte er, die Stimme harsch vor Misstrauen. »Du weißt genau, wo der Reis hin ist. Wie willst du ihn jemals wieder hochholen?« Und, in einem Nachsatz, fügte er irritiert hinzu: »Wo, verdammt noch mal, sind eigentlich meine Reeboks abgeblieben?«
    »Lass das meine Sorge sein, mit dem Reis«, antwortete ich, die Frage der Sportschuhe umschiffend. »Beeil dich lieber, ja? Und bring auf dem Rückweg von oben so viel Eis mit, wie du nur schleppen kannst.« Ich deutete mit dem Kopf zu der in schwarzes Plastik gehüllten Gestalt unter seiner Koje. »Oder unser Gast fängt schon bald an zu krabbeln.«
     
    Die Eismaschine ratterte, stotterte, krächzte, quietschte, spotzte, poffte und gab den Geist auf. Ein halber Eimer war alles, was ich ihr noch hatte entlocken können. Ich presste den Knopf mit dem Daumen, hämmerte gegen die Front mit der Faust, kickte erst die eine, dann die andere Flanke mit dem Fuß, doch ein halber Eimer war und blieb es. Ich hastete zurück.
    Irgendjemand machte »Puh« und wedelte sich mit der Hand vor der mit Zinksalbe eingeschmierten Nase herum, blickte fragend und angewidert hoch zu dem offen stehenden Bullauge.
    So geht’s nicht weiter, dachte ich. Absolut nicht. Der Teppichboden platschte unter meinen Füßen vor Nässe, das verfluchte Eis schmolz schneller, als ich es herankarren konnte. Am liebsten hätte ich die Kajüte abgeschlossen und den Leichnam und den ganzen verdammten Kahn sich selbst überlassen, ehrlich. Mehr Eis, doch woher? Und gleichzeitig musste die Heizung runter. Ich leerte den Kübel in den stinkenden, gluckernden Plastiksack, schloss das Bullauge und sprintete wieder los.
     
    Gleich zwei Mann bewachten die Tür, doch mein Security-Pass und die markig vorgetragene Versicherung, ich handele im Auftrag Antonovs, brachten mich hinein ins Allerheiligste. Duster war’s,

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