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Equinox

Equinox

Titel: Equinox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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morgen verpasst er mir noch eine.« Dann sah er mich an und stutzte. »Wie kommst du darauf, dass der Schmuck sich in ihrer Kabine befindet?«
    »Jochen«, sagte ich. »Denk doch mal nach: Wer um alles in der Welt geht hin und klaut nur einen Ohranhänger?«
    »Da kannst du Recht haben«, meinte er nach einem kontemplativen Momentchen und setzte sich ächzend auf. »Die alte Krähe will wahrscheinlich einfach nur Aufmerksamkeit.« Unter noch mehr Geächze erhob er sich, nestelte an seinem Gürtel herum. »Bestimmt hat sie den Klunker selber versteckt. Aber was sage ich, wenn sie fragt, warum ich ausgerechnet bei ihr alles durchwühlen will?« Anstatt loszusprinten, wie ich es erwartete, ließ er sich die Hose bis in die Kniekehlen rutschen.
    »Sag einfach, den Rest des Schiffes hätten wir schon abgesucht. Der Gedanke wird ihr gefallen.«
    Jochen nickte und tastete mit beiden Händen seine verschrammte und verpflasterte Kehrseite ab, hielt dann aber inne.
    »Moment mal«, sagte er, als wäre ihm ein Gedanke gekommen, und zwar einer, der ihm gar nicht gefiel, »wieso eigentlich ich?«
    Hatte ich kommen sehen, die Frage, schon von weitem, aber irgendwie war trotzdem keine Zeit gewesen für das Zurechtlegen einer entwaffnenden Antwort. Ich wollte Jochen gerade eine eiskalte Lüge auftischen, da klopfte es an der Tür. Jochen hatte die Hose auf halbmast, Scuzzi schlief, also blieb nur ich. Wie immer, will mir manchmal scheinen.
    »Ich komme«, rief ich, riss kurz die Tür auf und musste mich gewaltig dagegenstemmen, um das Rote Quadrat am Reinkommen zu hindern. Einer von Gottes natürlichen Eindringlingen, das ist er, unser Antonov.
    »Scuzzi schläft«, raunte ich in sein Ohr, während ich versuchte, es möglichst beiläufig wirken zu lassen, einen Vorgesetzten mit der Schulter zum Zurückweichen zu zwingen. Er leistete keinen über seine schiere körperliche Masse hinausgehenden Widerstand, und doch konnte ich spüren, wie er rasch die Szenerie in Augenschein nahm. Kaum hatte ich ihn weit genug, drehte ich mich rasch, um während des Schließens der Kabinentür zu prüfen, was für einen Eindruck Antonov gewonnen haben könnte. Alles, was ich sah, war Jochen, der sich, leicht nach vorn gebeugt, die rot leuchtenden Arschbacken hielt und dazu eine Miene zog, die einen nicht näher zu begründenden oder genauer zu lokalisierenden Schmerz ausdrückte. Dann war die Tür zu.
    Antonov hatte inzwischen freiwillig einen weiteren Schritt zurück gemacht und den Kopf etwas schief gelegt, wie um mich in neuem Licht zu betrachten.
    »Ich störe doch nicht?«, fragte er mit seiner hellen Stimme, die wie so oft nur ein Millimeterchen von einem Glucksen entfernt schien. Schien - denn machen wir uns bitte nichts vor: Er mochte sich anhören, als ob es kaum etwas unter der Sonne gäbe, dem er nicht eine heitere Seite abgewinnen könnte, doch war das reine Akustik. Seine alles sehenden, flinken, harten kleinen Auglein sprachen eine ganz andere Sprache. Er war der Chef eines militärisch gedrillten Haufens, und man war im Umgang mit ihm gut beraten, das nicht eine Sekunde zu vergessen.
    »Nein«, sagte ich. »Es ist halt nur so - Jochen zieht sich gerade um und Scuzzi hatte ‘ne lange Schicht gestern.«
    »Hatten wir die nicht alle?«, fragte er. »Manche haben seither noch nicht mal Zeit zum Rasieren gefunden.«
    Ich brauchte mir nicht ans Kinn zu fassen, tat es dann aber doch.
    »Stressig, heute Morgen«, gab ich zu.
    »Ja«, fand Antonov, »und nicht nur für euch.« Er packte mich am Arm und zog mich ein Stück näher an seine fleischige Gestalt. Augenblicklich machte ich mich wieder los.
    »Hör zu«, raunte er und sah sich geheimniskrämerisch um. Die ersten Deckstühle waren alle mit Handtüchern belegt, doch weitere wurden von Matrosen herangekarrt, wohl für die Engländer, die in solchen Dingen immer schon etwas langsamer waren als andere Nationen.
    »Die Japaner meckern am Reis herum«, vertraute Antonov mir an. »Masimoto-San fühlt sich in seiner Ehre verletzt. Wir mussten alle scharfen Gegenstände aus seiner Reichweite entfernen, er entleibt sich sonst noch. Und du kannst dir vorstellen, wie schwierig es werden kann, einen Großküchenbetrieb ohne Messer aufrechtzuerhalten.«
    Ich nickte, als könnte ich. Antonov hielt sich für einen grandiosen Verarscher, und es war nicht an mir, ihm diese Illusion zu rauben.
    »Fürst Tsarovski hat nach wie vor hysterische Anfälle wegen seiner Kabine«, fuhr er fort, »was wiederum den

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