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Equinox

Equinox

Titel: Equinox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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dachte ich weiter, für ‘nen Dreier.
    »Vielleicht nach dem Karaoke?«, schlug er vor und - verschwand von meinem Bildschirm. »Ich habe da etwas auf meinem PC entdeckt, das würde ich euch gerne zeigen«, murmelte er noch, doch kamen seine Worte nicht mehr richtig an, verhallten hohl wie alles um mich herum.
    »Ich gehe nicht zum Karaoke«, wollte ich entgegnen, doch … Töne verblassten, Farben, Formen. Stille setzte ein, gnadenvolle, majestätische Stille. Die Bar schwand dahin, das Schiff, die Zeit. Bis nichts mehr blieb als sie, sie und ich.
    Sie trug das Haar in makellos schimmernder Glätte nach hinten gebunden, wo es in einen dicken blauschwarzen Zopf mündete, so fest geflochten, dass er eine Handbreit brauchte, um der Schwerkraft nachzugeben und sich in sanftem Schwung hinabzuneigen, bis seine Spitze in pendelndem Schwung sachte von der einen ihrer beiden schmalen, festen, in einen wie aufgemalt sitzenden, seitlich geschlitzten schwarzen Lederrock gehüllten Arschbacken zur anderen strich.
    Sie trug hochhackige schwarze Pumps, die sie mit ruhigem, grazilem Schritt präzise einen genau vor den anderen stellte und aus denen an der Rückseite je eine Strumpfhaht, fein wie ein Bleistiftstrich, an Waden emporwuchs, die sich der Darstellung, sei es durch Worte oder sonst eine Ausdrucksform menschlicher Profanität, schlichtweg verweigerten.
    Sie trug ein mit einer Million silberner Pailletten besticktes, funkelndes Oberteil, und hätte der arktische Silberfuchs geahnt, um was für Schultern er sich eines Tages würde schmiegen dürfen, er wäre lächelnd gestorben, ich bin mir sicher. Oder zumindest grinsend.
    Doch all das wäre nicht der Rede wert gewesen, mehr oder weniger bedeutungslos und beinahe alltäglich, ohne diese große, strenge, eigentlich für ihr schmales Gesicht um einiges zu wuchtige, pechschwarz gerahmte Brille.
    »Wer … ist … das?« Meine Stimme klang fremd, wie sie so in der Unendlichkeit des Raumes und des Augenblickes verhallte.
    »Carla«, kam die Antwort, ohne Zögern. »Carla Bayonne.« Von Fjodr. Der wusste das. Natürlich. Etwas wie Elektrizität britzelte in mir, ich sah kurz zur Seite, und wenn Jochen und ich in diesem Augenblick gegensätzlich geladen gewesen wären, vom Fürsten zwischen uns wäre nichts geblieben als ein Paar rauchende Schuhsohlen. »War früher beim Zirkus. Ist heute der Croupier vom Casino«, fügte Fjodr nüchtern hinzu, und alles war wieder da, ringsum. Bis hin zu Candle in the wind, am Piano.
    »Hä?«, machte ich, wie vor den Kopf geschlagen.
    »Der Croupier?«, fragte Jochen, und Fjodr nahm einen genüsslichen Schluck von seinem Getränk und dann noch einen genüsslichen Zug an seiner Papirossa, bevor er den Kopf schüttelte. »Nicht, was ihr denkt. Es gibt nur keine weibliche Berufsbezeichnung für >Croupier<, das ist alles.«
    Doch da hatten wir ihn schon stehen lassen, ich, mit Jochen im Schlepptau. Carla bog um eine Ecke, und ich rannte, Jochen mit mir zerrend, in die andere Richtung, den nächsten Gang hoch, um die Ecke und wieder zurück. Da kam sie, straff, streng, grazil. Ohne nachzudenken schubste ich Jochen auf sie zu.
    »Sprich sie an!«, zischte ich, in seinem Rücken.
    »Ah, wa-wa?«, entgegnete der Trottel, und ich hieb ihm mein Knie ins verlängerte Kreuz.
    »Sag was zu ihr, irgendetwas!«
    Jochen stolperte einen Schritt vor, direkt in Carlas Weg, was sie zum Anhalten zwang, mit einer Miene arroganter Irritation.
    Ich knuffte Jochen in die Nieren.
    »Aäh, wargldasnwudelbnene«, stammelte er und brachte mich fast zum Ausrasten damit.
    »Sehr schön«, fand Carla, nach einem Moment, mit einer Stimme, kühl wie ein Gletscherbach über schwarzen, glatten Kieseln. »Ein bisschen Übung noch, und wir lassen dich an Bord alle wichtigen Durchsagen machen. Besucht ihr Jungs denselben Logopäden?« Und sie richtete den Blick ihrer vom schwarzen Rand der Brille eingefassten leicht schräg gestellten, durchdringenden Augen auf mich. Augen vom blendendsten denkbaren Blau.
    Alles, was ich wollte, war niederknien und flehen, doch musste ich jetzt etwas sagen, wollte ich nicht genauso belämmert dastehen wie mein Spannmann, und über diesen Widerspruch geriet ich, ich weiß nicht wieso, ein bisschen in Rage.
    »Hör zu, Herzchen«, entfuhr es mir, hitzig, und das war es. Weiter kam ich nicht. »Hör zu, Herzchen«, entfuhr es mir, und im selben Augenblick spürte ich schon Carlas scharf geschliffenen Daumennagel in meinem linken Nasenloch.
    »Diesmal

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