Equinox
Obstbuffets, Kaffee- und Softdrinkmaschinen lauerten an allen Ecken und Enden.
Doch für die Bars und Discos der Equinox gab es eine Chip-Währung, die übrigens gleich auch mit für das Spielcasino galt. Da Jochen und ich ausdrücklich gehalten waren, den Kontakt mit den Gästen zu suchen, uns aber, was unbegrenzten Frei-Alkohol anging, anscheinend nicht zu trauen war, verfügten wir über ein wöchentliches Chip-Deputat, so etwas wie Taschengeld. Das in unserem Fall die Nacht der Abreise nicht überlebt hatte und deshalb Tag für Tag von Scuzzi aus der Kasse des »Chagalle« neu aufgefüllt werden musste.
Und dann war da noch der Shopping-Bereich. Boutiquen, Juweliere, Sportausstatter bis hin zum irreführend »Duty-Free« getauften Supermarkt. Diese vor Luxusgütern schier berstende Einkaufsmeile mit den außerhalb des Schiffes wertlosen - und ständig durch die Hände einer Vielzahl von Angestellten wandernden - Plastik-Scheibchen führen zu wollen wäre ökonomischem Selbstmord gleichgekommen, und Ratso alleine hätte das Schiff binnen Stunden in einen schwimmenden Schwarzmarkt verwandelt. Deshalb herrschte hier das Diktat der Kreditkarte. Und wer den Antrag der neu auf den Markt drängenden japanischen »Ginza Titanium«-Kreditkartengesellschaft ausgefüllt hatte, bekam das Kärtchen beim Einschiffen feierlich überreicht und genoss während der Reise einen fünfundzwanzigprozentigen Discount auf sämtliche mit Ginza bezahlten Waren.
Ich hatte den Antrag gleich in den Müll gefeuert. Mit meiner Schufa-Auskunft habe ich ungefähr die gleichen Chancen auf Aushändigung einer Kreditkarte wie auf die eines Waffenscheins mit meinem Vorstrafenregister. Deshalb zahlte ich immer mit Jochens.
Elena schlug die Augen nieder, so dass ihre langen, dichten Wimpern Schatten auf ihre hauchzart von Sommersprossen überstäubten Wangen warfen. Sie zog die Karte durch den Schlitz, reichte sie mir mit sanftem Lächeln zurück, und wir beide warteten, dass die Kasse einen Zettel ausspuckte. Wie meistens um die Zeit der Hauptmahlzeiten waren wir praktisch allein, was es mir für gewöhnlich auch leichter machte, die Preisschilder der Artikel im Einkaufswagen mit den 20-Cent-Scannerfeldern zu überkleben, von denen Elena mir eine ganze Rolle besorgt hatte.
Sie war ein großes Mädchen, weich, mit sanftem Wesen, rund fünfundzwanzig und immer noch hübsch wie ein Hündchen, von schüchterner Anmut, eine der letzten wirklich durch und durch netten Frauen. Nur leider, wie so oft, mit einem fatalen Hang zu der absolut falschen Sorte Mann.
»Du denkst doch an unser Date, heute Abend?«, fragte sie und hob eine ihrer zarten Brauen für einen Seitenblick voll scheuer Koketterie.
Ich musste mich innerlich blitzartig bei der Gurgel packen, um nicht mit Hä?!? zu antworten. Stattdessen lächelte ich vielsagend. Oder nichts sagend. Wie auch immer. Spielte auf Zeit. Grub den Garten meines Erinnerungsvermögens um, auf der Suche nach der verlorenen Kontaktlinse.
»Du weißt doch«, fuhr sie fort, und die Kasse druckte endlich den Bon aus, und nein, ich wusste nicht, definitiv nicht, »wir wollten zusammen zum Karaoke. Im Chagalle.«
Und da, endlich, fiel er, der Groschen, bei mir. Sie neckte mich nur. Machte Spaß.
»Elena«, sagte ich und sah ihr ernst in die schwarzen, glänzenden Unschuldigen. »Peitschenhiebe«, sagte ich, »Stromstöße, Bajonettstiche, eine Meute wilder Hunde oder eine Rotte wilder Schweine könnten mich nicht in eine Disco jagen, in der mein Freund Pierfrancesco Scuzzi die Macht über den Plattenteller hat. Es ist schlimm genug, dass …«Ich brach kurz ab, und da war es. Wie immer. Wie überall. »Hörst du das?«, fragte ich laut, eigentlich zu laut, und zeigte vage in eine Richtung und mein Zeigefinger zitterte dabei. »Hörst du das?«, dröhnte ich. Und leise, unmerklich, unaufdringlich und doch völlig unausweichlich erklang Loco in Acapulco, mal wieder. »Das ist das hundertste Mal heute«, flüsterte ich und konnte es mir nur mit Mühe verkneifen, den Wodka gleich hier und jetzt in mich reinzugurgeln.
Elena schlug die Augen nieder, schob die Unterlippe vor.
»Scuzzi hat gesagt, er hätte dich nominiert«, schmollte sie.
»Er hat was?«, fragte ich, und die Flaschen in den Regalen ringsum klirrten leicht dazu.
»Dich und Jochen«, sagte sie und sah wieder hoch zu mir. »Es ist Elvis-Nacht«, fügte sie lächelnd hinzu, bevor sie seufzte: »Du würdest einen himmlischen Elvis abgeben.«
Scuzzi! Ich
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