Equinox
ist es nur die Nase«, schnurrte sie. »Noch einmal >Herzchen<, und du riskierst eines deiner hübschen Augen.« Mit einem scharfen Ruck riss sie den Daumennagel nach vorn, wischte ihn zweimal an meiner Jacke ab, rückte ihre Stola zurecht und stakste, Huf vor hochhackigen Huf, davon, die Spitze ihres Zopfes zuckend wie der Schwanz einer echauffierten Katze.
Ich dachte an Tequila in der Wüstenhitze der Baja California. Und an Sex. An Kokain in der Schwüle des Anden-Dschungels und an Sex. An ein Matratzenlager auf den zitternden Flanken eines berstenden Vulkans, an Tauchgänge unter das ewige Eis des Nordpols und selbst da noch an Sex, Sex, Sex.
»Bis heute Abend dann, Jungs«, rief sie über ihre Schulter, in selbstgefälliger Belustigung.
Ich tastete nach meiner Nase und mein Handrücken war voller Blut.
Sex, dachte ich.
»Beim Karaoke«, fügte sie hinzu, dann war sie um die Ecke verschwunden, dem in Messing geprägten Pfeil Richtung Casino folgend.
»Ich frage mich«, fand Jochen seine Sprache wieder, »wie das sein mag, wenn sie die Schuhe abstreift, die Stola von den Schultern gleiten lässt, den Zopf löst, ihr Haar freischüttelt, sich zurücklehnt, diese prallen Lippen teilt und rauh und leise >Mach’s mir, Jochen!< haucht.«
Wir blickten uns an, und die Equinox mit all ihren Bruttoregistertonnen, ihrer Unzahl von Kabinen und Quadratmetern Nutzfläche war mit einem Schlag zu klein geworden für beide von uns.
>»Mach’s mir … Kristoß<«, korrigierte ich ihn eisig.
In der Piano-Bar war man munter dabei, von Osborne und Wodka auf nahrhaftere Getränke wie Guinness umzusteigen.
»Okay«, raunte ich Jochen zu. »Alles wie besprochen. Du zischst los. Klaust irgendetwas aus seiner Kabine, irgendwas Persönliches, schiebst es unauffällig in den Haufen Dreck, und da >finden< wir es dann und überlassen es Antonov, wie er damit verfährt.«
Jochen blickte missmutig drein. Moralische Bedenken, mal wieder. Furchtbar. Wie kann man sich nur mit so was belasten?
»Was soll schon passieren?«, drängte ich. »Der hat doch einen Status wie ein Diplomat. Und uns verschafft das ein bisschen Luft für unsere eigenen Nachforschungen.«
»Vergiss den Reis nicht«, mahnte Jochen.
Aah, verdammt! Hatte ich schon. Vergessen, meine ich.
Ich versprach, mich drum zu kümmern. Wir trennten uns und ich hastete zurück zu unserer Kabine.
Die Temperatur war deutlich angenehmer, der Mief allerdings nicht. Immer noch ein bisschen wie ein Finger im Hals. Wir würden uns etwas einfallen lassen müssen. Doch später, später. Erst mal …
Ich zupfte die beiden Stöpsel aus seinen Ohren, nahm ihm die Schlafmaske ab. Scuzzi grunzte. Setzte sich auf. Tastete nach seinem Nachttischchen, zog die Schublade heraus, entnahm ihr die kleine, schon präparierte Glaspfeife und ein Feuerzeug, führte die Pfeife zum Mund und das Feuerzeug an die Pfeife, ritschte es an, ließ die Flamme tanzen, sog den entstehenden Rauch zischend zwischen den Zähnen durch, hielt ihn kurz in der Lunge, entließ ihn seufzend, legte die Pfeife beiseite und sagte: »Aah.«
Dann erst schlug er die Augen auf. Starrte mit hängendem Kopf, hängenden Schultern und hängenden Lidern einen Augenblick vor sich hin. Bevor es ihn packte und er einen Satz in die Höhe machte und sich unter meiner Koje knirschend den Schädel anschlug.
Gott, das tat so gut.
»Oh, Scheiße«, keuchte er und hielt sich den Kopf, den Blick auf den Plastiksack gerichtet. »Der ist ja immer noch da.«
»Ja«, bestätigte ich knapp und sprach dann aus, was mir wirklich durch den Kopf ging. »Carla«, sagte ich.
»Und was ist das hier?« Antonov hatte genug von den Beteuerungen und hielt dem Beschuldigten das Beweisstück unter die Nase. Der erbleichte und betrachtete mit einiger Bestürzung, wie es unten heraustroff, zäh und bräunlich und … na ja.
»Das«, erklärte Reverend McNish, mit Entgeisterung in der Stimme, »ist eine antiquarische Bibel von unschätzbarem Wert.«
Und ich schlug mir die Hand vor die Stirn und sah Jochen kopfschüttelnd an, der die Achseln zuckte mit einer »Du hast doch gesagt«-Geste.
»Das das eine Bibel ist, sehe ich selber«, schnappte Antonov. »Die Frage ist: Wem gehört sie?«
»Mir«, meinte der Reverend erschüttert. »Und wie kommt sie unter diesen Riesenhaufen Dreck?«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung.«
Antonov schnaubte wie jemand, der solche Antworten tagtäglich zu hören kriegt. Er schnaubte wie ein
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