Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Equinox

Equinox

Titel: Equinox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
Vom Netzwerk:
der Netzabdeckung dort mit bloßem Auge zu erkennen sein müsste. Während die Equinox weiter mit voller Kraft voraus hineindampfte in das »nordische Loch«, wie es die Funker nennen.
    Ich fröstelte in meiner Kostümierung. Das Wetter war umgeschlagen. Von Westen näherte sich eine dichte graue Wolkenbank, der Wind frischte immer mehr auf, das bisher so ölig-glatte Meer entwickelte kleine, ruppige Wellen, gekrönt von weißen Schaumkronen und über eine weite Fläche gesprenkelt mit quietschegelben Flugblättern. Eichmann am Arsch.
    Ein Gedanke ließ mich nicht los.
     
    »Na komm schon«, drängte ich sie und hielt einen ihrer durchsichtigen Slips ins Licht der Deckenlampe, »zeig sie mir.«
    »Ich kann sie nicht finden«, antwortete Ankje mit wachsender Verunsicherung in der Stimme. Sie stand mir gegenüber, weit nach vorn gebeugt, und kramte und wühlte in ihrem großen Koffer herum, doch abgesehen von einer fantastischen Auswahl an Artikeln der Damenunterbekleidung brachte alles Wühlen nichts von Interesse zum Vorschein.
    »Ich verstehe das nicht«, bekannte sie unter Schütteln ihrer honigblonden Mähne, sah auf und schnappte mir den Slip aus den Fingern. »Fjodr hat die Ausdrucke extra hier bei mir gelassen, unten in diesem Koffer. Doch sie sind weg. Verschwunden.«
    Der Gedanke, der mich geplagt hatte, war auf eine Bemerkung Antonovs zurückzuführen. Was, hatte ich Ankje gefragt, war Fjodr eigentlich gewesen, bevor er den Job als schwimmender Pianist annahm?
    Computerfachmann, hatte ich erfahren. Halbleiter-Entwickler bei AMEL, der ehemals größten russischen Elektronikfirma, die schon bald nach Öffnung der Märkte von der westlichen und fernöstlichen Konkurrenz an die Wand geklatscht worden war und heute nur noch fürs russische Militär arbeitete, sporadisch und mit einem sporadisch bezahlten Zehntel der ehemaligen Belegschaft.
    Als Teil der freigesetzten übrigen neun Zehntel war Fjodr gezwungen, sich anderer Talente zu besinnen, und hatte kurzerhand die Tastatur gegen die Klaviatur getauscht. In seiner freien Zeit an Bord amüsierte er sich allerdings weiterhin mit Rechnern, angefangen bei dem in seiner Kabine. Und dabei, so viel hatte er Ankje anvertraut, hatte er uns nicht nur die Kabinentemperatur hochgejubelt, sondern er war auch noch auf etwas gestoßen. Etwas, das ihn in einige Aufregung versetzt hatte. Etwas, das er mir unbedingt hatte zeigen wollen. Etwas, das, so seine Worte Ankje gegenüber, »Millionen wert sein könnte«. Nur was, das hatte er nicht verraten, gott-verdammich, und die entsprechenden Aufzeichnungen waren futsch. Und das Wissen, das sie enthalten hatten, war irgendjemand an Bord wertvoll oder wichtig genug, dafür über geköpfte Leichen zu gehen.
     
    Fjodrs Kabinentür war nur angelehnt. Irgendjemand rumorte dahinter herum. Ich drückte das Türblatt mit spitzem Finger beiseite, lehnte mich nonchalant in den Rahmen und war froh, noch ein paar der gelben Flyer behalten zu haben. Und sei es nur für den Fall, dass jemand fragen sollte, was genau ich hier und jetzt zu suchen hatte.
    Doch es waren nur zwei Filipinas, Teil des Reinigungspersonals, in leiser Unterhaltung damit beschäftigt, neue Vorhänge einzuschienen.
    »Oh, oh«, schreckte ich sie auf, »mais non, non. Vite, vite, in die Pantry Numero vier, alles schön sauber machen und vorbereiten für die Kochkürs.«
    Sie blickten mich an wie einen stammelnden Idioten.
    Ich musste mich in allen mir zur Verfügung stehenden Sprachen wiederholen, bis sie endlich abschoben.
    Nur zwei Minuten später tat ich es ihnen gleich. Wie vermutet, war Fjodrs Rechner, genau wie der von Wassilij, leer geräumt. War ja auch zu schön gewesen.
     
    »Ääh, ‘tschuldigung, aber was machen Sie in unserer Kabine?«, fragte Jochen Fuchs, durch nichts zu täuschender König der privaten Ermittler.
    »Oh, isch stelle nur zusammen ein paar Zutat für die Kochkürs«, antwortete ich, den Arm im Bettkasten. Die Anfangszeit des Kochkurses war festgelegt. Die Dauer aber nicht. Ein Umstand, der mich gewaltig beschäftigte, gedanklich. Denn mal im Ernst: Ich hatte Dringenderes zu tun als ausgerechnet den Pausenclown für einen gelangweilten Haufen reicher Rentner zu mimen. Ich hatte einen Auftrag zu erfüllen. Erteilt von Fjodr. Aus dem Schattenreich, aus der Kühlkammer, wenn man so will, doch trotzdem klar und unmissverständlich. Er lautete:
    Finde meinen Mörder, Kristof, und räche mich. Indem du die Millionen einsackst.
    Die Scheiße war,

Weitere Kostenlose Bücher