Equinox
ich musste mich erneut festklammern.
»Schaust du mal, Guy?«, säuselte er. »Noch etwas mehr Rouge? Oder lieber nicht?« Die beiden beäugten mich kritisch.
»Doch, definitiv, Gal, definitiv noch etwas mehr Rouge. Mal ihm ein paar richtige Apfelbäckchen. Und du«, wandte sich Guy an mich, »heb mal kurz deine Rehbeinchen und schlüpf mal rasch hier rein.«
Fairerweise muss ich sagen, dass Giorgio mir die Wahl gelassen hatte. In Absprache mit dem Kapitän lag die alleinige Entscheidung bei mir: Entweder ich wurde (das nächste Wort muss man sich sehr leise und durch grimmig zusammengebissene Zähne gesprochen vorstellen)… Animateur, oder es stand mir frei, mich bis zu meiner Anlandung in der fest verschlossenen Arrestzelle aufzuhalten.
Als Ergebnis dieser Abwägung saß ich nun frisch rasiert in der Garderobe der … Animateure und ließ mir von einer Schwuchtel namens Gal fingerdick Farbe ins Gesicht spachteln, während gleichzeitig eine Tücke namens Guy damit beschäftigt war, mir fingerfertig eine karierte Hose über die Beine zu streifen.
Die Alternative steht dir jederzeit offen, dachte ich, wieder und wieder und wieder.
»Am besten, du sprichst mit eine starke fronssössische accent«, riet Gal und klebte mir einen Hercule-Poirot-Schnäuzer auf die Oberlippe.
»Kochkürs?« Karierte Hose, weiße Schürze, weiße doppelreihige Chefkochjacke mit passendem Halstuch und als Krönung obendrauf eine keck zur Seite hängende Kumuluswolke von Mütze.
»Cooking-lessons for les beginnörs!« Fürchterlicher geschminkt als Kanzler und Herausforderer beim TV-Duell, schauerlicherer Akzent als ein Franzosen-Darsteller in einer Daily Soap. Und all das in nüchternem Zustand. Na, nicht mehr lange, schwor ich mir.
»Neun von zehn Passagieren sind weit über sechzig«, hatte ich protestiert. »Wer von denen, die es nicht seit einem halben Jahrhundert können und praktizieren, will das in dem Alter noch lernen?«
»Kochkürs? Fronssössische cuisine in fünf einfache Lektion!«
»Da gibt es genug«, hatte Giorgio mir versichert. »Alles eine Frage der Akquise.« Und damit hatte er mir einen telefonbuchdicken Stapel quietschegelber Flyer in die Hand gedrückt.
»Cookin lessons? Learn how to cook like a french Chef!«
Man mag sich, als Deutscher, für untypisch, ungermanisch, für eher international halten, man kann sich amerikanische Zurückhaltung, finnischen Frohsinn oder holländische Fahrkunst attestieren, und doch gibt es Momente, da bricht sich das Deutsche in einem Bahn, ob man will oder nicht. Es ist eine Sache vererbter innerer Einstellungen, und eine davon ist: Wenn ich mich schon aufraffe und einen Job übernehme, dann kann ich ihn auch gleich gründlich machen. Und zwar egal, worum es sich handelt. Da ist, will mir manchmal scheinen, ein kleiner Eichmann in jedem von uns.
»Kochkürs? Verblüffen Sie Ihre famille mit Ihre kulinarisch finesse!«
Bei manchen sah man die Ausweichbewegung schon aus der Distanz, andere versuchten es mit Haken im letzten Augenblick, doch sie alle träumten offenen Auges, hatten nie eine wirkliche Chance des Entkommens. Wenn Kryszinski Flugblätter verteilt, dann gründlich, dann kriegt jeder eines verpasst, und zwar ohne Ausnahme.
»Kochkürs? Cette apres-midi mit Pierre Bocuse, Neffe von die berühmte maitre de la cuisine!«
Es war ein eher kleiner Teil meines Hirns vonnöten, um Reste meines Schulffanzösisch in dieses furchtbare Kauderwelsch umzumünzen, und das eigentliche Verteilen übernahmen meine scharfen Augen, flinken Füße und festen Hände in Eigenregie, so dass sich die brachliegende zerebrale Masse damit beschäftigen konnte, mich mit möglichen Vorteilen meiner Situation zu trösten.
Erst mal, stellte ich fest, konnte ich mich völlig frei bewegen. Solange ich meine Termine einhielt, waren mir keinerlei blecherne Durchsagen oder stämmige Sicherheitsleute auf den Fersen. Hinzu kam eine Maskerade, in der mich vorerst nur die wenigsten erkennen dürften. Schließlich blieben mir, sobald ich die Flyer losgeworden war, noch rund anderthalb Stunden, um mich entweder von einem Profi auf die nachmittägliche Aufgabe vorbereiten zu lassen oder aber etwas Sinnvolles zu tun und für den Kochkurs auf mein Improvisationstalent zu vertrauen.
Passagiere in gefütterten Jacken mit hochgeschlagenen Kragen zeigten einander mit verzücktem Lächeln SMS-Mitteilungen auf ihren Handys, blickten immer wieder auf ihre Uhren und hoch in den Himmel, als ob das Ende
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