Er ist der Freund meiner Freundin: Roman (German Edition)
Telefonhörer und drücke Markus’ Kurzwahltaste.
»Kannst du herkommen?«, frage ich, sobald er abnimmt.
»Was ist passiert?«
»Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich gar nichts. Kannst du trotzdem kommen?«
»Klar, Emmis. Anytime.«
Ach, Markus, mein loyaler, wunderbarer Freund! Er springt auf sein Rad und ist in weniger als einer Viertelstunde bei mir. Bis auf die Knochen nass, weil es immer noch regnet. Ich werde ebenfalls nass, als er mich im Flur umarmt. Aber was macht das schon? Hauptsache, er ist da.
»Ich liebe dich, nicht vergessen«, sagt er, als ich mein Gesicht an seine Schulter lehne.
»Ebenso«, murmele ich. »Schön, dass es dich gibt.«
Er zieht seine klitschnassen Sachen aus, weigert sich aber standhaft, irgendetwas von dem anzuziehen, was ich ihm anbiete. Selbst ein neutrales weißes T-Shirt lehnt er ab.
»Ich muss an meinen Ruf denken«, sagt er und setzt sich nur mit Unterhose bekleidet auf mein Sofa.
»Wie wäre es mit meinem Kimono?«
Ich sehe Interesse in Markus’ Augen aufblitzen und er folgt mir zum Schrank.
Mama war vor ein paar Jahren bei irgendeiner Fortbildung in China und hat alle möglichen Geschenke mit nach Hause gebracht. Unter anderem einen glänzend blauen Seidenkimono mit Gürtel, roter Borte und goldenen chinesischen Schriftzeichen. Ich ziehe ihn so gut wie nie an, konnte mich aber auch nicht davon trennen.
»Den hatte ich ganz vergessen«, sagt Markus. »Der ist super.«
Er nimmt den Stoff zwischen die Finger und reibt, fühlt und drückt ihn, als würde er einen Brocken Erde oder das weiche Haar einer Frau betasten.
»Was für ein Material! Ein Loblied auf die Seidenraupen! Und den darf ich wirklich anziehen?«
»Klar!« Ich lache. »Zieh du nur das einzige Teil aus meinem Schrank an, in dem ich mich niemals öffentlich zeigen würde. Das ist gaaaanz normal.«
»Gut. Wer will schon gaaaanz normal sein?«
Ich lache. »Du jedenfalls nicht!«
Markus begibt sich zurück zum Sofa, schlingt die Arme um die Knie und wird mit einem Mal ganz ernst. Ich setze mich neben ihn. Zwischen uns braucht es kein »Und?« oder »Worum geht’s?«. Die Frage ist trotzdem da.
»Adrian«, sage ich.
Markus wartet.
Ich erzähle von Anfang an, wie es an der Tür geklingelt hat und Adrian mit dem Regal davorstand. Markus springt vom Sofa auf, um es in Augenschein zu nehmen.
»Unglaublich!«, platzt er heraus und streicht mit den Fingerspitzen über die geschnitzten Figuren. »Shit, ist das schön! Wunder dich nicht, wenn es in einer dunklen Nacht einfach verschwindet! Aber, Emmis, ich verstehe nicht, was …«
Er bricht mitten im Satz ab und setzt sich wieder auf das Sofa. Und ich erzähle ihm von dem Tee und meiner Unterhaltung mit Adrian.
»Siehst du!«, sagt er. »Hab ich’s doch gewusst. Wieso bringt es dich so aus dem Konzept, obwohl ich es dir bereits gesagt habe?«
»Das ist nicht das Problem«, sage ich. »Das kam später, als er gehen wollte. Ich hab ihn umarmt … wie man das eben so macht. Und da ist was passiert.«
Markus mustert mich neugierig. »Du willst nicht sagen, dass ihr …?«
»Dass wir was?«, sage ich gereizt. »Wir hatten keinen Sex , falls du das meinst!«
»Aha, aber rumgeknutscht habt ihr?«
Ich versuche, ihm zu erklären, was passiert ist. Worte für den plötzlich veränderten Zustand zu finden, was mir nicht sonderlich gut gelingt. Es erstaunt mich, dass Markus am Ende dann doch verständnisvoll nickt.
»Okay, ihr habt die Grenze einen halben Millimeter überschritten. So was passiert doch ständig. Bei jedem Fest. No big deal. Oder willst du sagen, da steckt mehr dahinter, etwas, von dem ich nichts weiß?«
Mir wird bewusst, wie wenig eigentlich passiert ist. Nicht der Rede wert. Absolut nichts. Aber …
»Ellinor würde mich hassen, wenn sie das wüsste«, sage ich.
»Aber sie weiß es nicht. Und im Grunde ist ja auch gar nichts gewesen. Erst, wenn man darüber redet, oder?«
Ich nicke.
Markus nimmt mich in den Arm. »Emmis, findest du das wirklich so verwunderlich? Es kriselt gerade etwas zwischen Ellinor und Adrian und du hast ewig keinen Freund gehabt … Mal ehrlich, wäre es da nicht eher bedenklich, wenn es nicht ein bisschen funkt?«
»Mag sein.«
Markus’ Worte machen mich etwas ruhiger. Da ist was Wahres dran. Eine ganz normale Reaktion. Wir sind schließlich auch nur Menschen. Aber das Kribbeln in meinem Körper lässt sich nicht abschalten. Als wäre dort drinnen etwas geweckt worden, das lange geschlafen hat. Auf
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