Er ist der Freund meiner Freundin: Roman (German Edition)
sollte ich das nicht wollen. Es ist Viertel vor eins, als ich schließlich die Wohnung in der Ågatan verlasse.
Ich verzichte darauf, den Fahrstuhl zu nehmen. Um die Treppenstufen hinunterzugehen, die seine Füße vor ein paar Stunden berührt haben.
Am nächsten Tag ist plötzlich richtig Sommer. Oder zum ersten Mal Sommer. Sonderlich warm und beständig ist es bislang nämlich nicht gewesen.
Ich fühle mich schlaff und müde nach dem gestrigen Abend, was mich nicht daran hindert, mir meine Kamera zu schnappen und in den Videbergspark zu gehen. Dort herrscht richtige Sonntagsstimmung. Familien mit Kindern, Rentner und jede Menge Jugendliche sind auf den Beinen. Auf den Rasenflächen wird gekickt, Hunde liegen hechelnd im Schatten, Jogger mit Ohrstöpseln und einem Schrittzähler am Hosenbund drücken knirschend Stempel in die Kieswege. Beim alten Pavillon biege ich zum Fluss ab und folge dem Uferweg. Die wackeligen Tische vor dem Parkcafé sind alle besetzt. Das Café ist ein Blockhaus mit Torfdach, das bestimmt vor langer Zeit von irgendwelchen Heimatkundlern dort aufgebaut wurde. Es war schon ein Café, als ich noch klein war. Mama, Papa, Edwin und ich waren ab und zu dort, an genau solchen Sonntagen wie diesem. Das war immer eine feierliche Angelegenheit, weil Mama, was Zucker betraf, normalerweise extrem streng war, aber im Café im Videbergspark durften wir Birnen- oder Himbeerbrause und Schokoladenkugeln bestellen.
Na ja, nach der Scheidung war es aus mit den Café-Besuchen. Papa und ich sind noch ein paarmal hingegangen, aber er war dann immer so schweigsam und hat sich nicht in seinem Stuhl zurückgelehnt wie früher und da hat es für mich auch den Reiz verloren. Die Schokoladenkugeln schmeckten plötzlich pappsüß und die Brause kitzelte in der Nase. Mir wird zum ersten Mal klar, wie schrecklich das für Papa gewesen sein muss. Das Café wird ihn natürlich an die verlorene Familienidylle erinnert haben, an eine Ehe, die zerbrochen war, ohne dass er verstand, warum.
Ich erinnere mich nicht mehr, wie das Café damals hieß. Auf so was achtet man als Kind wahrscheinlich weniger. Jedenfalls haben sie dann ziemlich bald dichtgemacht. Buchstäblich. Die alte Eingangstür wurde mit einem dicken Riegel und Vorhängeschloss verschlossen und die Fenster waren gründlich verbarrikadiert. Erst in diesem Frühjahr hat das Café wieder aufgemacht. Zwei ältere Schwestern haben es gepachtet, hat Karim erzählt.
Ich suche mir einen strategisch günstigen Platz auf einer Bank unter einer großen Eiche, nah genug, um die Café-Gäste mit meinem Zoom ranholen zu können, und weit genug weg, um keine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen.
Langsam lasse ich die Gesichter durch den Sucher passieren, beobachte Familien, Kaffee trinkende Paare und einen einsamen Mann hinter einer Zeitung. Zwei Jungs um die Zwölf haben jeder einen Eisbecher vor sich stehen, der eine hat Schokoladeneis an der Wange.
Mir am nächsten sitzt eine Familie, die mich an meine eigene erinnert: Papa im blauen Hemd, blonde Mama in ärmelloser, weißer Bluse, Mädchen und kleiner Junge. Das Mädchen mag um die sieben Jahre alt sein, der Junge vielleicht drei Jahre jünger. Das Mädchen ist aus ihrem Kleid rausgewachsen und unter dem Tisch ragt ein verschrammtes Knie hervor.
Ich drehe am Objektiv und hole das Mädchen so nah ran wie möglich. In diesem Moment ist sie ganz allein auf der Welt, sie und das Glas mit dem Strohhalm, das sie in der Hand hält. Einige Sekunden später taucht ihr kleiner Bruder in dem Bild auf. Er hält ihr etwas hin, einen kleinen Dinosaurier, scheint es. Ich drücke den Auslöser und friere das Bild ein. Dann zoome ich zurück, bis ich die ganze Familie im Sucher habe. Papa lehnt sich im Stuhl zurück, aber Mama ist halb vom Stuhl aufgestanden und, über den Tisch gebeugt, wischt sie dem Jungen mit einer Serviette den Mund ab. Das Mädchen macht eine merkwürdig ausweichende Bewegung, um nicht im Weg zu sein, und einen Augenblick lang wird sie von ihrer Mutter verdeckt. Und wieder drücke ich auf den Auslöser. Die Mutter setzt sich, faltet genüsslich die Hände hinter dem Nacken und zeigt zwei unrasierte Achselhöhlen. In dem Augenblick könnte sie ganz und gar nicht mehr meine Mutter sein. Ich nehme die Kamera hoch und fange genau den Augenblick ein, als der Junge seinen Dinosaurier in die Reste der Prinzesstorte drückt.
Als ich kurz darauf weiter am Fluss entlangspaziere, höre ich jemanden rufen. Ich drehe mich um
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