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Er ist wieder da

Er ist wieder da

Titel: Er ist wieder da Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timur Vermes
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denn selbstverständlich war der Einwand völliger Blödsinn. Gerade in dieser Beziehung weiß wohl kaum jemand besser, wovon er redet, als ich.
    Also schwieg ich für einen Moment.
    »Wenn Sie den Tag frei haben möchten –«, setzte ich dann an, »ich denke, die Situation ist schwierig für Sie. Ich wollte nur, dass Sie wissen, dass ich Ihre Mitarbeit außerordentlich schätze. Und wenn Ihre Frau Großmutter damit nicht zufrieden ist, vielleicht hilft es, wenn Sie ihr mitteilen, dass ihr Zorn hier wohl den Falschen trifft. Der Bombenkrieg war Churchills Idee …«
    »Es trifft überhaupt nicht den Falschen, det is ja det Schlimme«, schrie das Fräulein Krömeier. »Wer redet denn hier von irjend eenem Bombenkrieg? Diese Menschen sind in keenem Bombenkrieg gestorben. Man hat sie vergast!«
    Ich hielt inne und blickte nochmals auf das Foto. Der Mann, die Frau, die Buben sahen nicht kriminell aus, nicht wie Zigeuner, kein bisschen wie Juden. Obwohl, in ihren Gesichtszügen, wenn man wirklich ganz genau hinsah – nein, das konnte auch Einbildung sein.
    »Wo ist denn Ihre Großmutter auf dem Bild?«, fragte ich, aber die Antwort konnte ich mir sofort denken.
    »Sie hat det Foto jemacht«, sagte Fräulein Krömeier mit einer Stimme wie ganz rohes, unbehandeltes Holz. Sie sah reglos auf die Bürowand gegenüber. »Et is det eenzije Bild ihrer Familie, det se noch hat. Und da isse noch nich mal selber mit drauf.« Dann lief eine wimperntuscheschwarze Träne über ihr Gesicht.
    Ich hielt ihr ein Taschentuch hin. Sie reagierte erst nicht, dann nahm sie es und schmierte sich damit viel Tusche durchs Gesicht.
    »Vielleicht war es ein Irrtum?«, sagte ich. »Ich meine, diese Leute sehen überhaupt nicht aus wie …«
    »Wat is’n det für’n Arjument?«, fragte Fräulein Krömeier kalt. »Und wenn se versehentlich umjebracht worden sind, is wohl allet im jrünen Bereich oder wat? Nee, der Irrtum is, det eener überhaupt auf die Idee jekommen is, man müsste die Juden umbringen! Und die Zigeuner! Und die Schwulen! Und alle, die ihm nicht in den Kram passen. Ick will Ihnen mal wat verraten: Der Trick geht so – wenn man die Leute nicht alle umbringt, dann bringt man die Falschen ooch nich um! So einfach ist det!«
    Ich stand etwas ratlos im Raume, ich war von diesem Ausbruch reichlich überrascht, selbst wenn man auf die erheblich weichere Gefühlswelt einer Frau gefasst ist.
    »Es waralso ein Irrtum …«, hielt ich fest, aber ich kam gar nicht zum Schluss, weil sie sofort aufsprang und brüllte: »Nein! Es war keen Irrtum. Es waren Juden! Sie ham se völlig legal vergast! Schon weil se keenen Stern jetragen haben. Sie sind unterjetaucht und ham den Stern abjelegt, weil se jehofft haben, det man se nich als Juden erkennt. Aber leider hat eener der Polizei eenen Tipp jejeben! Det waren also nich nur Juden, det waren sogar illegale Juden! Sind Sie jetzt beruhigt?«
    Ich war es in der Tat. Das war ja nun wahrhaft erstaunlich, ich hätte diese Leute womöglich selbst nicht einmal verhaftet, so deutsch sahen die aus, ich war so verblüfft, ich dachte zuerst sogar, ich sollte Himmler bei Gelegenheit nochmals meine Anerkennung für seine gründliche, unbestechliche Arbeit ausdrücken. Allerdings schien es mir gerade in diesem Momente einmal nicht ratsam, direkt und wahrheitsgetreu zu antworten.
    »Entschuldijung«, sagte sie dann plötzlich in die Stille. »Sie können ja nüscht dafür. Et is ooch ejal. Ick kann meener Oma det nich antun, det ich weiter für Sie arbeete. Die jeht daran kaputt. Et is nur – können Se nich eenfach mal sagen: ›Et tut mir leid mit der Familie von Ihrer Oma, det war ein grauenhafter Irrsinn damals‹? So wie det jeder normale Mensch ooch tun würde? Oder det Se dran arbeeten, det den Leuten endlich aufjeht, wat det damals für Schweine jewesen sind. Det Se mit mir, det wir alle hier mit dran arbeeten, det sowat nie wieder passiert.« Und dann fügte sie beinahe flehend hinzu: »Det isset doch, wat wa hier machen, oder? Sagen Se doch eenfach det! Für mich.«
    Olympia 1936 kam mir in den Sinn. Vielleicht nicht ganz zufällig, denn die blonde Frau auf dem Foto erinnerte mich ausgesprochen an die Fechtjüdin Helene Mayer. Man hat Olympische Spiele im Lande, man hat eine großartige Gelegenheit, beste, ja erstklassige Propaganda zu machen. Man kann das Ausland positiv beeindrucken, man kann Zeit gewinnen für die Aufrüstung, wenn man noch schwach ist. Und man muss sich entscheiden, ob man

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