Er ist wieder da
Laufbahn niemals dort gewesen, allerdings hatten sich die Zeiten geändert und damit auch die Bedeutung dieser knapp zweiwöchigen Traditionsveranstaltung. Wie mir mehrfach bestätigt wurde, war aus dem Oktoberfest inzwischen ein Volksfest geworden, das ohne allzu große Beteiligung der Bevölkerung auskam. Wer in einem jener Festzelte sitzen und etwas zu sich nehmen wollte, musste Monate, manchmal Jahre vorher dafür einen Platz reservieren oder aber den Besuch auf Tageszeiten verschieben, zu denen ein anständiger Deutscher niemals dorthin gehen würde.
Nun würde selbstverständlich kein geistig gesunder Mensch eine Harmlosigkeit wie einen Volksfestbesuch Monate oder Jahre vorher planen. Die Folge war, so erfuhr ich, dass sich dort vormittags und des frühen Nachmittags vor allem unanständige Deutsche und von der Aura des berühmten Fests angezogene Ausländer und Touristen herumtrieben, die erbittert versuchten, schon zur Mittagszeit den Tag zum Abend zu machen. Zu dieser Zeit, so riet mir die Dame Bellini genauso wie Herr Sensenbrink, empfehle es sich, dort nicht zu erscheinen, weil das Erscheinen zu solchen Zeiten auf eine unbedeutende, ja entbehrliche Persönlichkeit schließen ließ. Die Abende hingegen gehörten ebenfalls nicht der örtlichen Bevölkerung, sondern den Konzernen jedweden Industriezweigs. Praktisch jede halbwegs namhafte Firma fühlte sich verpflichtet, für ihre Kunden oder die Presse sogenannte Wiesnbesuche zu arrangieren, manche Presseorgane waren jedoch aus Unzufriedenheit mit den Firmenereignissen oder den dort vorhandenen Gästen dazu übergegangen, sich selbst gleich einen passenden Wiesnbesuch zurechtzuschnitzen, ein, wie ich fand, sehr kluges, eigentlich regelrecht goebbelshaftes Vorgehen. Manche dieser Treffen, so versicherte man mir, konnten zwischenzeitlich an Bedeutung durchaus mit einem Opernballe mithalten. Und zu jenen qualitativ hochwertigen Treffen gehörte jenes des Magazins. Meine Zusage entpuppte sich obendrein als propagandistisch besonders wirksam, weil aufgrund meines vorherigen Fernbleibens von dem Feste gleich mehrere Boulevardzeitungen auf ihre Titelseiten schrieben: »Hitler zum ersten Mal auf der Wiesn«. Angesichts dieser Reibungslosigkeit, so dachte ich nicht unzufrieden, rückte die Organisation eines neuen »Völkischen Beobachters« zunehmend und immer weiter in den Hintergrund.
Ich war gegen Mittag in der Stadt angekommen und hatte die Zeit genutzt, einige lieb gewonnene Orte aufzusuchen. An der Feldherrnhalle verweilte ich kurz in Gedenken an das hier vergossene Blut treuer Kameraden, ich spazierte rührselig am Hofbräukeller vorbei, dann ging ich, ein wenig bange, zum Königsplatz. Doch wie jubelte mein Herz, als es all die herrlichen Bauten dort unversehrt sah: die Propyläen! Die Glyptothek. Die Antikensammlung! Und – ich hatte es kaum zu hoffen gewagt – auch der Führerbau und der Verwaltungsbau standen nach wie vor und wurden sogar noch genutzt! Dass der Königsplatz durch diese begnadeten Bauten erst vollendet wurde, war also nicht einmal diesen demokratischen Gesinnungsrichtern entgangen. Ich schlenderte frohgemut ein wenig durch Schwabing, wie von selbst führten meine Schritte in die Schellingstraße – und dort zu einem unverhofften Wiedersehen. Man kann sich kaum meine übergroße Freude vorstellen, als mich dort das Schild der Osteria Italiana begrüßte – hinter der sich nicht weniger verbarg als mein altes Stammlokal, die Osteria Bavaria. Ich wäre zu gerne eingekehrt, um eine Kleinigkeit zu mir zu nehmen, ein frisches Mineralwasser – allein, die Zeit war bereits stark fortgeschritten, und es galt, ins Hotel zurückzukehren, wo mich des Abends eine Droschke abholte.
Die Ankunft an der Theresienwiese war ernüchternd. Polizei sperrte das Gelände großräumig ab, jedoch sorgte sie weder für Sicherheit noch für Ordnung. Ich konnte kaum aus dem Auto steigen, schon taumelten zwei extrem angetrunkene Gestalten auf mich zu und an mir vorbei auf die Rücksitze.
»Brrralleeiiiinschraaaße!«, murmelte einer von beiden, während der andere schon im Halbschlaf schien. Der Chauffeur, ein kräftiger Mann, entfernte daraufhin zunächst die beiden Trinker mit den Worten »Raus da, des is koa Taxi!« aus seinem Fahrzeug, bevor er mich zum Veranstaltungsort begleiten konnte. »Entschuldigen ’S’«, sagte er zu mir, »des is halt immer des mit dera Scheißwiesn.«
Wir gingen die wenigen Meter über die Straße zum Festgelände. Mein
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