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Er ist wieder da

Er ist wieder da

Titel: Er ist wieder da Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timur Vermes
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Eindruck: Es war kaum zu fassen, dass jemand auf die Idee kommen konnte, hier irgendeine Zusammenkunft von gesellschaftlicher Relevanz zu inszenieren. An den umzäunten Grundstücken rundum lehnten Betrunkene, die anhaltend auf die andere Seite des Zauns urinierten. Auf manche dieser Gestalten warteten Frauen gleich unsicheren Zustands, die sichtlich gerne dasselbe getan hätten, es aber wohl aus einem unterbewussten Rest Anstand heraus nicht wagten. Ein Pärchen versuchte, an eine Litfasssäule gelehnt Zärtlichkeiten auszutauschen. Er intendierte offenbar, ihr die Zunge in den Mund zu schieben, fand diesen jedoch nicht, weil sie nach unten wegglitt, und begnügte sich dann mit ihrer Nase. Sie öffnete, seine Zudringlichkeiten erwidernd, den Mund und rührte mit der Zunge planlos in der Luft. Dann rutschten beide erst langsam, dann rascher werdend, der Rundung der Säule folgend zu Boden. Sie lachte dabei kreischend und versuchte etwas zu sagen, konnte sich jedoch wegen fehlender Konsonanten nicht verständlich machen. Er kam unter ihr zu liegen, wühlte sich hervor, setzte sich kurz auf und versenkte dann wortlos eine Hand in ihrem Ausschnitt. Es war nicht gewiss, ob sie selbst es bemerkte, drei benachbarte Italiener hingegen sahen es mit Interesse und beschlossen, die Vorgänge aus größerer Nähe zu verfolgen. Für weiteres Aufsehen sorgte das entwürdigende Mühen nicht, auch und gerade nicht bei der Polizei, die damit beschäftigt war, Bewusstlose aufzulesen, von denen es reichlich gab.
    Die Theresienwiese besitzt – entgegen ihres Namens – wenige bis gar keine Grünflächen, allein bei den kreisrund sie umgebenden Bäumen sind einige Fetzen Wiese, es hat sich dies seit meinem ersten Aufenthalte hier nicht geändert. In praktisch jedem dieser Wiesenfetzen fand sich, soweit ich das beobachten konnte, ein bis zur Bewusstlosigkeit Betrunkener, und wo noch keiner war, dort sah das Auge ohne große Mühe bereits jemanden hinstreben, wo er sofort zusammenbrach oder sich übergab oder auch beides. »Ist das immer so?«, fragte ich den Chauffeur.
    »Freitags ist’s schlimmer«, sagte der Chauffeur gleichmütig. »Scheißwiesn!«
    Ich kann es nicht erklären, aber plötzlich fiel mir siedend heiß der Grund für dieses menschliche Debakel ein. Es konnte sich nur um eine Entscheidung der NSDAP von 1933 handeln, die natürlich dazu gedacht gewesen war, die Beliebtheit der Partei beim Volke noch weiter zu steigern – man hatte seinerzeit den Bierpreis festgeschrieben. Anscheinend hatten sich seither allerdings auch andere Parteien auf diese Weise die Beliebtheit sichern wollen.
    »Das sieht diesen Idioten ähnlich«, platzte ich heraus. »Haben die denn den Bierpreis nicht erhöht? 90 Pfennige für die Maß sind doch heute ein Witz!«
    »Wieso 90 Pfennige?«, fragte der Chauffeur. »Die Maß kostet neun Euro! Mit Trinkgeld zehn.«
    Ich sah im Vorübergehen die erstaunlichen Klumpen der Bierleichen. Irgendwie mussten diese Parteien bei aller Misswirtschaft doch einen unerwarteten Wohlstand zuwege gebracht haben. Nun ja, keinen Krieg zu führen sparte natürlich schon den einen oder anderen Betrag. Andererseits: Wenn man den Zustand des Volkes hier sah, musste selbst der Verblendetste zugeben, dass die Deutschen im Jahre 1942 oder 1944, ja selbst in bittersten Bombennächten besser beieinander gewesen waren als an diesem Septemberabend zu Beginn des dritten Jahrtausends.
    Wenigstens körperlich.
    Ich folgte kopfschüttelnd dem Chauffeur, der mich am Eingang des Festzeltes einer jungen blonden Dame überantwortete und dann zu seinem Fahrzeug zurückkehrte. Sie hatte Kabel am Kopfe, ein Mikrofon vor dem Mund und sagte lächelnd: »Hallo, ich bin die Tschill – Sie sind …?«
    »Schmul Rosenzweig«, sagte ich, schon wieder ein wenig genervt. War ich denn so schwer zu erkennen?
    »Danke. Rosenzweig … Rosenzweig …«, wiederholte sie, »hab ich hier gar keinen auf der Liste.«
    »Himmel noch mal«, fluchte ich, »sehe ich aus wie ein Rosenzweig? Hitler! Adolf!«
    »Bitte, sagen Sie das doch gleich«, klagte sie so vibrierend, dass mir meine Bemerkung fast schon wieder leidtat. »Was glauben Sie, wer hier alles herkommt – ich kann doch auch nicht alle kennen! Wenn dann auch noch jeder einen falschen Namen sagt. Vorhin hab ich die Frau vom Becker mit seiner letzten Freundin verwechselt, der hat mich schon total rund gemacht …«
    Bedauern ist mir nicht fremd. Ein echter Führer fühlt mit jedem seiner

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