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Er ist wieder da

Er ist wieder da

Titel: Er ist wieder da Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timur Vermes
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Dinge von Ihnen gesehen.«
    »Muss ich Sie kennen?«, fragte ein junger blonder Mann schräg vis-à-vis.
    »Aber sicher«, sagte der Maßkrugneger, während er einem anderen jungen Mann mit einem dicken Filzstift ein Foto signierte, »das ist der Hitler vom Wizgür. Freitags bei MyTV ! Oder nein, der hat jetzt ein eigene Sendung. Mussdu gucken, du schmeißt dich weg.«
    »Aber ganz anders als sonst, das ist irgendwie auch politisch«, sagte der verlebte Ausschnitt, »das ist fast wie Harald Schmidt!«
    »Mit dem kann ich ja nicht so viel anfangen«, sagte der Blonde und wandte sich zu mir. »Sorry, das ist jetzt nicht persönlich, aber Politik, ich finde, wir ändern hier doch eh nichts. Diese ganzen Parteien und so, das ist doch alles eine Suppe.«
    »Sie sprechen mir aus der Seele«, sagte ich, während die Kellnerin mein Mineralwasser vor mich stellte. Ich nahm einen Schluck und blickte über den Tisch hinweg hinunter in den Hauptsaal des Festzelts, um dem örtlichen Schunkeln zuzusehen. Niemand schunkelte. Alles stand auf den Biertischen und Bänken, mit Ausnahme derer, die gerade herunterfielen. Man schrie nach einem Anton. Ich versuchte mich zu erinnern, ob Göring nach seinen Festbesuchen jemals von einer derartigen Massenverwahrlosung berichtet hatte, fand aber in meinem Gedächtnis keinerlei Hinweise darauf.
    »Wo kommen Sie her«, fragte die verlebte Dame. »Sie sind aus Süddeutschland, nicht wahr?« Der Ausschnitt wurde mir erneut hingehalten wie ein Klingelbeutel.
    »Aus Österreich«, sagte ich.
    »Wie der echte!«, sagte der Ausschnitt.
    Ich nickte und ließ meinen Blick durch den Raum schweifen. Man hörte ein Kreischen, dann versuchten einige der Damen in ihren lachhaften Kleidern ebenfalls auf Bierbänke zu steigen und andere zum Mitmachen zu bewegen. Es hatte wenig Animierendes, diese Damen in ihrer zwanghaft guten Laune, die zugleich etwas furchtbar Verzweifeltes ausstrahlte. Vielleicht trog der Schein auch, und es lag nur an den häufig stark geschwollenen Lippen, die den Mundpartien allen Anstrengungen zum Trotz einen schmollenden, sogar leicht beleidigten Zug angedeihen ließ. Ich besah beiläufig die Lippen des verlebten Ausschnitts gegenüber. Sie wirkten normal, immerhin.
    »Ich mag die Aufspritzerei auch nicht«, sagte der Ausschnitt.
    »Verzeihung?«
    »Sie haben doch auf meinen Mund gesehen, oder?«
    Sie nahm einen Schluck Bier. »Ich mag da keinen Arzt ranlassen. Obwohl ich mir manchmal denke, ich hätte es damit leichter. Man wird ja nicht jünger.«
    »Einen Arzt? Sind Sie krank?«
    »Sie sind süß«, sagte der Ausschnitt und beugte sich über den Tisch, dass man den Inhalt hätte auffangen mögen. Sie griff an meine Schulter und drehte sie so, dass wir beide in dieselbe Richtung sahen. Sie roch deutlich nach Bier, wenn auch noch nicht im unangenehmen Ausmaße. Dann begann sie mit dem leicht schwankenden Zeigefinger der Rechten von links nach rechts die verschiedensten Damen abzudeuten: »Mang. Gubisch. Mang. Prag. Weißnich. Mang. Mühlbauer, schon länger her. Weißnich, weißnich. Mühlbauer. Tschechien. Mangmang. Irgend’n Pfuscher, dann Mang, und bezahlt hat die Reparatur RTL 2 oder Pro Sieben oder die Produktionsfirma, für irgend so einen Report.« Dann ließ sie sich wieder auf ihren Sitz sinken und sah mich an.
    »Sie haben doch auch was machen lassen, oder?«
    »Ich habe was machen lassen?«
    »Diese Ähnlichkeit, ich bitte Sie! Die ganze Branche rätselt schon, wer das hingekriegt hat. Obwohl«, und hier nahm sie einen weiteren großen Schluck Bier, »wenn Sie mich fragen: Man sollte den Kerl verklagen.«
    »Gnädige Frau, ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden!«
    »Von Operationen«, sagte sie genervt. »Und tun Sie nicht so, als hätte es keine gegeben. Das ist doch albern!«
    »Selbstverständlich gab es Operationen«, sagte ich irritiert. Sie war auf ihre Art nicht unsympathisch. »Seelöwe, Barbarossa, Zitadelle …«
    »Nie gehört. Waren Sie zufrieden?«
    Unten im Saal spielte man »Flieger, grüß mir die Sonne«. Das stimmte mich wohlwollend nostalgisch. Ich seufzte. »Anfangs war es ganz in Ordnung, aber dann gab es Komplikationen. Nicht, dass die Engländer besser gewesen wären. Oder die Russen … Aber trotzdem.«
    Sie musterte mich. »Man sieht keine Narben«, sagte sie fachmännisch.
    »Ich will nicht klagen«, sagte ich, »die tiefsten Wunden schlägt das Schicksal in unseren Herzen.«
    »Da haben Sie recht«, sagte sie lächelnd und hielt mir ihr Bier

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