Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Er ist wieder da

Er ist wieder da

Titel: Er ist wieder da Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timur Vermes
Vom Netzwerk:
Sinnes vorübergehend in den Hintergrund getreten. Und eine größere Dringlichkeit zeichnete sich zunächst nicht ab, schien doch das Volk gröberer Nöte und Demütigungen fürs Erste enthoben. Doch nun beschloss das Schicksal wie einst in Wien, mir ein zweites Mal die Augen zu öffnen.
    Ich war bislang mit dem alltäglichen Leben recht wenig in Berührung gekommen, die kleinen Erledigungen hatte mir Fräulein Krömeier abgenommen. Erst nach und nach stellte sich heraus, wie sehr sich doch mancherlei gewandelt hatte, als ich beschloss, auch selbst einige Besorgungen zu machen. Ich hatte gerade in der letzten Zeit meinen guten alten Rasierapparat besonders vermisst. Bislang musste ich notdürftig mit einem jener Kunststoffapparate zurande kommen, deren Vorzug darin bestand, mehrere ungenügende Klingen zu kombinieren, um die Haut gleich mehrfach unangenehm abzuraspeln. Wie ich der Packung entnehmen konnte, hielt man dergleichen für einen gewaltigen Fortschritt, vor allem im Vergleich zur alten Version, die eine Klinge weniger beinhaltete. Ich jedoch konnte noch immer keinen Vorteil erkennen gegenüber einer vernünftigen guten alten einzelnen Klinge. Ich hatte vergeblich versucht, dem Fräulein Krömeier zu beschreiben, wie eine solche wohl aussah und zu funktionieren hätte. Insofern machte ich mich notgedrungen selbst auf den Weg.
    Das letzte Mal richtig eingekauft hatte ich so etwa 1924 oder 1925. Damals ging man zu einem Kurzwarenhändler oder zu einem Seifengeschäft. Heute musste man dazu in die Drogerie, zu der mir das Fräulein Krömeier den Weg beschrieben hatte. Dort angekommen, musste ich feststellen, dass sich das Erscheinungsbild der Drogerie doch sehr gewandelt hatte. Früher gab es eine Theke, und dahinter waren die Waren. Heute gab es eine Theke, aber sie war nahe an den Ausgangsbereich gerückt. Dahinter befand sich überhaupt nichts außer der Innenseite des Schaufensters. Die eigentlichen Waren standen für jedermann zugänglich in endlosen Reihen von Regalen. Zuerst nahm ich an, es gäbe hier Dutzende Verkäufer, die alle in zwangloser Kleidung erschienen waren. Es stellte sich heraus, dass dies die Kunden waren. Der Kunde holte sich alles selbst und rannte dann damit zur Theke. Es war überaus befremdlich. Selten zuvor hatte ich mich derart unhöflich behandelt gefühlt. Es war, als hätte mir jemand gleich am Eingang zu verstehen gegeben, dass ich mir meine paar lumpigen Rasierklingen gefälligst selbst zusammensuchen sollte, die Herrschaften Drogisten hätten nun einmal Besseres zu tun.
    Erst allmählich erschloss sich mir der Zusammenhang: In wirtschaftlicher Hinsicht hatte dies mehrere Vorteile. Der Drogist konnte zunächst große Teile seines Verkaufslagers zugänglich machen und hatte damit mehr Verkaufsfläche. Des Weiteren konnten sich hundert Kunden selbst natürlich schneller bedienen, als zehn oder gar zwanzig Verkäufer es gekonnt hätten. Und zu guter Letzt sparte man sich auch diese Verkäufer. Der Vorteil lag auf der Hand: Bei einer flächendeckenden Einführung dieses Prinzips, so schätzte ich überschlägig, konnten in der Heimat sofort rund 100–200000 Einsatzkräfte für den Fronteinsatz freigemacht werden. Das war derart beeindruckend, dass ich auf Anhieb sofort dem genialen Drogisten gratulieren wollte. Ich stürzte zu einer der Theken und fragte nach dem Herrn Rossmann.
    »Welcher Herr Rossmann?«
    »Na der, dem diese Drogerie gehört!«
    »Der is nich da.«
    Das war schade. Andererseits erübrigte sich die Gratulation, weil ich rasch herausfand, dass der kluge Herr Rossmann leider meine Rasierklingen nicht verkaufte. Ich wurde zu einem anderen Geschäft geschickt, dem eines Herrn Müller.
    Um mich kurz zu fassen: Auch Herr Müller hatte die geniale Idee des Herrn Rossmann schon umgesetzt. Meine Rasierklingen hatte er jedoch ebenso wenig, was auch für den Herrn Schlecker galt, dessen reichlich verwahrlost wirkendes Geschäft nach einem noch weitergehenden Prinzip geführt wurde: Dort war nicht einmal die Kasse besetzt. Was nur konsequent war, weil es ja auch hier meine Rasierklingen nicht gab. Letzten Endes ließ sich diese Erfahrung dahingehend zusammenfassen, dass in Deutschland immer weniger Verkäufer keine Rasierklingen verkauften. Das war nicht erfreulich, aber wenigstens effizient.
    Ratlos schlenderte ich weiterhin durch die Einkaufspassagen. Es erwies sich wieder einmal als richtig, den schlichten Straßenanzug gewählt zu haben, so bekam ich erneut

Weitere Kostenlose Bücher