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Er ist wieder da

Er ist wieder da

Titel: Er ist wieder da Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timur Vermes
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ließ ich den Hörer wieder auf die Gabel sinken. Ich wusste ja gar nicht, mit wem mich die Zentrale hätte verbinden sollen. In diesem Umfelde brachte mir die ganze moderne technische Infrastruktur überhaupt nichts. Ich seufzte, und an mein Herz pochte ein Moment des bangen Verzagens. Jedoch nur kurz: Ich schob die Anfechtungen der Schwäche entschlossen zur Seite. Ein Politiker macht aus dem Vorhandenen das Beste. Beziehungsweise aus dem nicht Vorhandenen, wie in diesem Fall. Nun, dann konnte ich ja genauso gut einmal hinausgehen und zwischenzeitlich das neue deutsche Volk betrachten.
    Ich trat vor die Türe und sah mich um. Gegenüber war eine kleine Grünanlage, deren Laubbäume schon intensivste Herbstfarben trugen. Links und rechts schlossen sich andere Häuser an. Mein Blick streifte eine verrückte Frau, die am Rande jener Grünanlage einen Hund an der Leine führte und im Begriffe war, dessen Hinterlassenschaft aufzuklauben. Ich überlegte kurz, ob sie wohl schon sterilisiert war, kam aber zu dem Schlusse, dass sie in jedem Falle für Deutschland wenig repräsentativ sein konnte, also wählte ich eine andere Richtung und begab mich aufs Geratewohl nach links.
    Ein Zigarettenautomat hing an der Wand, an dem sich vermutlich die Raucher versorgten, die den Parkplatz mit den Ratten teilten. Ich passierte ihn und etliche Passanten. Meine Uniform wurde offenbar nicht als störend empfunden, das mochte daher rühren, weil derlei hier nicht unüblich zu sein schien. Mir begegneten zwei Männer in mäßig imitierten Wehrmachtsuniformen, eine Krankenschwester und zwei Ärzte. Diese Häufung kostümierter Figuren kam mir entgegen: Ich schätze die Aufmerksamkeit nicht mehr so sehr, seit ich damals, nach meiner Haftentlassung, von Anhängern regelrecht verfolgt wurde. Man musste sie im wahrsten Sinne des Wortes mit kleinen Manövern überlisten, damit man einmal von Fotografen ungestört eine kleine Rast einlegen konnte. Doch so, in dieser speziellen Umgebung, war ich gewissermaßen als ich selbst und doch inkognito unterwegs, ideal für das Studium der Bevölkerung. Denn viele Menschen benehmen sich in Gegenwart des Führers nicht mehr ganz natürlich. Ich sage dann immer: »Machen Sie sich keine Umstände!«, aber gerade die kleinen Leute scheren sich darum natürlich nicht. In meiner Münchner Zeit, da waren die kleinen Leute geradezu wie verrückt an mir gehangen. Das konnte ich hier nicht brauchen. Ich wollte den echten, den unverfälschten Deutschen sehen, den Berliner.
    Einige Minuten später passierte ich eine Baustelle. Männer mit Helmen schlurften herum, es sah im Wesentlichen so aus, wie ich es noch von meiner bitterarmen Zeit in Wien kannte, während der ich mich auf Baustellen verdingt hatte, um mir mein tägliches Brot zu verdienen. Ich blickte neugierig durch den Zaun, ich erwartete, den Häusern beim Wachsen zusehen zu können, aber offenbar hatte die Technik hier nicht allzu große Fortschritte gemacht. Im oberen Stockwerk faltete ein Polier gerade einen Jüngling zusammen, er mochte ein Werkstudent sein, ein angehender Architekt, ein junger, hoffnungsvoller Mensch, wie ich einst einer war. Auch er musste sich der schieren Gewalt des Arbeiters unterwerfen, die erbarmungslose Welt der Baustelle war heute noch dieselbe wie einst. Da konnte der junge Mann Einblicke gewonnen haben in Sprachwissenschaft und Naturphilosophie, das zählte nichts in diesem Universum aus Zement und Stahl. Andererseits bedeutete das auch: Es gab sie noch immer, die brutale, schlichte Masse, ich musste sie nur erwecken. Und auch die Qualität des Blutes schien durchaus brauchbar.
    Ich musterte weiterschlendernd die Gesichter, die mir entgegenkamen. Insgesamt hatte sich nicht allzu viel geändert. Die Maßnahmen unter meiner Regierungszeit hatten sich offenbar ausgezahlt, auch wenn sie wohl nicht fortgesetzt worden waren. Vor allem Mischlinge waren kaum zu erkennen. Man sah relativ starke östliche Einflüsse, immer wieder slawische Elemente in den Gesichtern, aber das war in Berlin ja schon immer so gewesen. Was hingegen neu war, war ein erhebliches türkisch-arabisches Element im Straßenbild. Frauen mit Kopftüchern, alte Türken in Jacke und Schiebermütze. Zu einer Vermengung des Blutes war es allerdings allem Anscheine nach nicht gekommen. Die Türken, die ich sah, sahen aus wie Türken, eine Verbesserung durch arisches Blut war da nicht konstatierbar, obwohl die Türken daran sicher ein erhebliches Interesse hatten.

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