Er ist wieder da
nicht wohin?«
»Es gibt keinen Grund zur Überheblichkeit«, tadelte ich, »der Führerstaat beruht auf Staatsführung, nicht auf Fremdenführung.«
Frau Elke riss mit einer Art Prusten rasch das Puderdöschen aus ihrer Schnaubzone. »Diesmal kriegen Sie mich nicht«, sagte sie, damit offenbar endgültig zum Siezen übergehend. Sie zeigte in eine Ecke des Raumes. »Sehen Sie hier? Über den Bildschirm können Sie die Sendung verfolgen. Davon gibt’s noch mehr, auch in der Garderobe oder beim Catering. Jenny holt Sie dann wieder ab und sorgt dafür, dass Sie pünktlich zu Ihrem Auftritt kommen.«
Die Sendung entsprach allem, was ich bis dahin von ihr gehört und gesehen hatte. Wizgür kündigte einige Sendeschnipsel an, dazu wurden kleine Filmchen gezeigt, in denen Wizgür wahlweise als Pole oder Türke auftrat und in verschiedenen Varianten deren Unzulänglichkeiten zu gespielten Bühnenwitzen verarbeitete. Letzten Endes war er nicht gerade ein Chaplin, andererseits war das wohl auch gut so. Das Publikum nahm seine Darbietung wohlwollend auf, und wenn man den Begriff weit genug fasste, lag dem Ganzen auch wenigstens teilweise ein politisches Bewusstsein zugrunde, sodass meine Botschaft hier fraglos die Gelegenheit hatte, auf fruchtbaren Boden zu fallen.
Die Übergabe sollte mit einem festen Satze erfolgen, den Wizgür auch anstandslos aufsagte: »Den Kommentar zum Tage spricht Adolf Hitler.« Daraufhin trat ich das erste Mal aus der Kulisse in das gleißende Licht der Scheinwerfer.
Es war, als käme ich nach entbehrungsreichen Jahren in der Fremde nach Hause in den Sportpalast. Die Hitze der Lichter brannte mir ins Antlitz, ich registrierte die Gesichter des jungen Publikums. Es mochten mehrere Hundert sein, stellvertretend für die Zehntausende, die Hunderttausende vor den Apparaten, es war exakt die Zukunft des Landes, es waren die Menschen, auf die ich mein Deutschland zu bauen gedachte. Ich spürte die Anspannung in mir und die Freude. Hatte ich jemals Zweifel gehabt, verschwanden sie nun im Taumel der Vorbereitung. Stundenlang zu reden war ich gewohnt, nun sollten fünf Minuten reichen.
Ich trat ans Rednerpult und schwieg.
Mein Blick ging in das Rund des Aufzeichnungsstudios. Ich horchte hinein in die Stille, gespannt, ob die Jahrzehnte der Demokratie wie erwartet nur geringe Spuren in den jungen Köpfen hinterlassen hatten. Es war ein Lachen bei der Nennung meines Namens durch das Publikum gegangen, das nun rasch verebbte, mit meiner Person konfrontiert zog Ruhe in das Rund. Ich konnte in ihren Gesichtern lesen, wie sie wohl zuerst mein Antlitz mit den Gesichtern ihnen bekannter professioneller Darsteller abzugleichen versuchten, ich sah die Verunsicherung, die ich mit schlichtem Blickkontakt in atemlose Stille überführen konnte. Hatte ich noch mit Zwischenrufen gerechnet, war die Sorge unbegründet – auf jeder Versammlung im Hofbräukeller war die Zahl der Störungen größer gewesen.
Ich trat kurz vor, machte Anstalten zu sprechen, verschränkte dann aber nur die Arme – sogleich sank der Geräuschpegel noch einmal auf ein Hundertstel, ja Tausendstel des vorherigen. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie in Anbetracht der scheinbaren Ereignislosigkeit der Dilettant Wizgür zu schwitzen begann. Es war sofort ersichtlich, dass er nicht um die Macht der Stille wusste, sondern sie eher fürchtete. Seine Augenbrauen versuchten sich an Grimassen, als hätte ich meinen Text vergessen. Eine Assistentin versuchte mir Zeichen zu geben und pochte aufgeregt auf ihre Armbanduhr. Ich zögerte die Stille weiter hinaus, indem ich langsam den Kopf hob. Ich spürte die Spannung im Saal, die Unsicherheit des Wizgür. Ich genoss es. Ich ließ die Luft in meine Lungen strömen, richtete mich vollends auf und gab der Stille einen Klang. Es kann eine fallende Stecknadel genügen, wo alles auf Kanonendonner lauscht.
»Volksgenossen und Volksgenossinnen!
Was ich,
was wir
soeben
in zahlreichen
Beiträgen
gesehen haben,
ist wahr.
Es ist wahr,
dass der Türke kein Kulturschöpfer ist
und auch
dass er
keiner mehr wird.
Dass er eine Krämerseele ist,
deren geistige Fähigkeiten
die eines Leibeigenen
üblicherweise nicht
zu sehr
übersteigen.
Dass der Inder
eine
religiös verwirrte schwatzhafte Natur
hat.
Dass das Verhältnis des Polen zum Eigentum
nachhaltig!
gestört ist.
Es sind dies
alles
allgemeine Wahrheiten,
die jedem Volksgenossen
und jeder Volksgenossin
ohne Weiteres
einleuchten.
Jedoch
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