Er ist wieder da
sagt, sie möge jetzt ins Nebenzimmer gehen und nicht ungefragt störend herauskommen, dann muss man auch sicher sein, dass das so geschieht. Eva hat das gemacht, von den vieren hingegen hätte ich das nie verlangen können. Die Riefenstahl zum Beispiel gehörte dazu, eine wunderbare Frau, aber die hätte mir bei so einem Ansinnen doch die Kamera an den Kopf geschmissen! Und so eine war die Dame Bellini wohl auch, die war so recht vom Kaliber dieses verehrungswürdigen Quartetts.
Ich denke nicht, dass jemand anderes als ich gemerkt hat, wie auch sie um die Bedeutung dieser Stunden, dieser Minuten wusste, aber was hat sich diese fantastische Frau im Griff gehabt! Sie zog vielleicht eine winzige Spur kräftiger an ihrer Zigarette, als man es sonst manchmal an ihr sah, aber das war auch schon alles. Ihr sehniger, straffer Körper hielt sich aufrecht, sie war aufmerksam, stets bereit zu hilfreichen Anweisungen, zur richtigen, raschen Reaktion, wie eine lauernde Wölfin. Und kein einziges graues Haar, sie mochte vielleicht sogar jünger sein als geschätzt, Ende dreißig, ein Prachtweib! Deutlich war ihr auch anzumerken, dass ihr die plötzliche Nähe des Sensenbrink unangenehm war, nicht, weil sie ihn als aufdringlich empfunden hätte, nein, weil sie seine Weichlichkeit verachtete, weil sie spürte, dass er ihr nicht seine Kraft zur Verfügung stellte, sondern sich vielmehr selbst an ihrer Energie festhielt. Ich hatte große Lust, sie fragen zu lassen, wie sie den Abend verbrächte. Ich dachte plötzlich mit einer gewissen Wehmut an die Abende auf dem Obersalzberg. Wir saßen oft noch lange gemütlich zu dritt, viert, fünft beisammen, manchmal habe ich etwas erzählt, manchmal nicht, ja manchmal haben wir auch über Stunden geschwiegen, unterbrochen von einem gelegentlichen Husten, oder ich habe auch einmal den Hund gestreichelt, ich habe diese Zusammenkünfte immer als sehr besinnlich empfunden. Es ist ja auch nicht immer einfach, als Führer ist man einer der wenigen Menschen im Staate, die auf die einfache Freude eines gewöhnlichen Familienlebens verzichten müssen.
Und in so einem Hotel ist es doch immer recht einsam, das war eines der Dinge, die sich in den letzten sechzig Jahren am allerwenigsten geändert hatten.
Dann fiel mir ein, dass ich die Dame Bellini in meiner Situation wohl selbst fragen müsste, und das wiederum hatte etwas unangemessen Vertrauliches, zumal wir uns ja noch nicht lange kannten. Ich beschloss, den Gedanken zu verschieben. Andererseits fand ich, wäre es doch angebracht gewesen, meine Rückkehr in die große Öffentlichkeit ein wenig feierlich zu begehen. Mit einem Glas Schaumwein oder dergleichen, nicht für mich freilich, aber ich war stets gerne dabei, wenn andere in einer fröhlichen Stimmung die Gläser erhoben. Da blieb mein Blick am Hotelreservierer Sawatzki hängen.
Seine Augen strahlten mich an, sie waren voll unmissverständlicher Hochachtung, ich kannte diesen Blick, den ich hier nicht falsch interpretiert wissen möchte. Sawatzki gehörte nicht zu den Leuten im SA -Hemd, die man nachts aus Röhms Bett zerrt und denen man sofort angewidert einige Kugeln in den ekelerregenden Leib jagt, die tödliche erst zum Schluss. Nein, Sawatzki betrachtete mich mit einer Form der stillen Verehrung, die ich zuletzt in Nürnberg von den Hunderttausenden gesehen hatte, denen ich Hoffnung gegeben hatte. Die aufgewachsen waren in einer Welt der Demütigung und Zukunftsangst, der zaudernden Schwätzer und Kriegsverlierer, und die in mir die feste Hand sahen, die sie führte, die willig bereit waren, mir zu folgen.
»Nun«, sagte ich und trat auf ihn zu, »hat es Ihnen gefallen?«
»Unglaublich«, sagte Sawatzki, »beeindruckend. Ich habe Ingo Appelt gesehen, aber der ist lasch verglichen mit Ihnen. Sie haben Mumm. Es ist Ihnen wirklich egal, was die Leute von Ihnen denken, oder?«
»Im Gegenteil«, sagte ich, »ich will die Wahrheit sagen. Und sie sollen denken: Das ist jemand, der die Wahrheit sagt.«
»Und? Denken sie das jetzt?«
»Nein. Aber sie denken nicht mehr dasselbe wie vorher. Und das ist alles, was man erreichen muss. Den Rest macht die stetige Wiederholung.«
»Na ja«, sagte Sawatzki, »sonntagvormittags um elf, ich weiß ja nicht, ob das so viel bringt.«
Ich sah ihn verständnislos an. Sawatzki räusperte sich. »Kommen Sie«, sagte er dann, »wir haben im Catering eine Kleinigkeit vorbereitet.«
Wir gingen nach hinten, wo einige Fernsehbeschäftigte recht gelangweilt
Weitere Kostenlose Bücher