Er ist wieder da
Krömeier schniefte und nickte. »Aba det ging trotzdem allet so jut mit uns los. Und dann – det hätt ick nie jedacht …«
»Sicher«, sagte ich, »aber das sieht man doch auf den ersten Blick!«
Sie hielt inne. Ihre Faust zerknüllte das Taschentuch, als sie zu mir hochsah: »Wat? Det sieht man?«
Ich holte tief Luft. Es ist zwar erstaunlich, auf welche Nebenkriegsschauplätze einen die Vorsehung beim Kampf um die Zukunft des Deutschen Volkes verschlägt. Jedoch ist es auch wieder verblüffend, wie sie manches fügt und verbindet. Das Problem des Fräulein Krömeier und der würdigen Repräsentation völkischer Politik.
»Sehen Sie, ein Mann, gerade ein rassisch gesunder Mann wie dieser, will doch für sein Leben eine fröhliche, lebensbejahende Partnerin, eine Mutter für seine Kinder, eine Frau, die den gesunden, den nationalsozialistischen Geist ausstrahlt …«
»Na, det binnick doch! Aba sowat von!«
»Ja, gewiss«, sagte ich, »Sie wissen es, und ich weiß es. Aber nun, also: Sehen Sie sich doch einmal mit den Augen eines Mannes in den besten Jahren! Immer diese schwarze Garderobe. Dieser dunkle Lippenstift, dieses Gesicht, von dem ich den Eindruck habe, dass Sie es immer besonders blass zurechtmachen … Ich, also, Fräulein Krömeier, ich bitte Sie, fangen Sie jetzt nicht wieder zu weinen an, aber ich habe an der Westfront 1916 Tote gesehen, die wirkten fröhlicher als Sie! Die dunklen Augen, und das bei Ihren schwarzen Haaren. Sie sind doch eine reizvolle junge Frau, warum tragen Sie nicht einmal ein paar fröhliche Farben? Eine hübsche Bluse oder einen lustigen Rock? Oder ein buntes Sommerkleid? Sie werden sehen, wie sich dann die Männer nach Ihnen umdrehen!«
Fräulein Krömeier sah mich reglos an. Dann fing sie an, herzlich zu lachen.
»Ick hab mer det jrade vorstellen müssen«, erklärte sie, »wie ick in dem Kleidchen da rumloofe wie die Heidi vom Alm-Öhi, mit Blümchen im Haar und allet, und wie ick ihm denn in der Fußgängerzone übern Weg loofe, ihm und dieser schicken Tante, und wie ick dabei rausfinde, det der – det der Scheißtyp verheiratet is. Ick muss echt sagen, da hätt ick noch blöder dajestanden als so schon, nee, det Bild is richtich ulkich. Det is lieb, det Se mich aufheitern«, sagte sie. »Und jetzt mach ick Feierabend.« Sie richtete sich auf, nahm ihren Rucksack und hängte ihn über die Schulter.
»Die Rede hol ick Ihnen noch ausm Drucker und leg se dann in Ihr Fach«, sagte sie, schon die Türklinke in der Hand, »noch’n schön’ Abend, meen Führa! Nee, echt, ick innem Kleidchen …« Und damit ging sie hinaus.
Ich überlegte, was ich an diesem Abend machen wollte. Vielleicht sollte ich den neuen Apparat im Hotel anschließen lassen, den mir Sensenbrink hatte zukommen lassen. Man sollte damit Filme über das Fernsehgerät abspielen lassen können, Filme, die praktischerweise auch nicht mehr auf Rollen aufbewahrt wurden, sondern auf kleinen Plastikscheiben, von denen die Firma Flashlight ganze Regale voll besaß. Und Filme habe ich ja stets geschätzt, ich war durchaus neugierig, was ich wohl in den letzten Jahren verpasst hatte. Andererseits erwog ich auch, den künftigen Weltraumflughafen für Berlin zu entwerfen, es hatte sich ja gezeigt, dass man dann während der aktiven Kriegführung nur noch selten dazu kommen würde, insofern lag es nahe, jetzt verstärkt meiner alten Leidenschaft nachzugehen. Da öffnete sich die Tür noch einmal, und Fräulein Krömeier legte mir einen Brief auf den Schreibtisch.
»Der war noch im Postfach«, sagte sie, »der ist nicht mit der Post jekommen, den hat wohl einfach wer in’n Firmenbriefkasten jeworfen. Schön’n Abend nochmal, meen Führa!«
Der Brief war in der Tat an mich adressiert, der Absender hatte jedoch meinen Namen in Anführungszeichen gesetzt, so als ob es sich um eine Rundfunksendung dieses Namens handelte. Ich roch daran, es war in der Vergangenheit nicht selten der Fall gewesen, dass Frauen mir eine gewisse Verehrung ausdrücken wollten. Der Brief roch neutral. Ich öffnete ihn.
Ich erinnere mich noch deutlich an die Begeisterung, als ich gleich oben auf dem Brief ein tadelloses Hakenkreuz im weißen Felde sah. Ich hatte so schnell nicht mit positiven Reaktionen gerechnet. Sonst war zunächst nichts zu erkennen.
Ich entfaltete den Brief. Mit ungelenker, dicker schwarzer Schrift stand dort:
»Hör auf mit der Scheise, Du verfluchdes Judenschwein!«
Ich hatte schon lange nicht mehr so
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