Er sieht dich wenn du schläfst
Speisezimmer, möglichst
weit von Roy Junior und Robert entfernt, die ihre Hochstühle
heftig mit Löffeln bearbeiteten.
Marissa saß ihnen gegenüber und stocherte schweigend in einem kleinen Stück Huhn herum.
Denise und Roy saßen jeweils an einem Ende des Tisches und
hatten ihre Stühle so weit zur Seite geschoben, dass sie leicht
einen Zwilling füttern konnten.
»Wie war es heute in der Schule?«, fragte Roy Marissa. Es
gelang ihm, einen Löffel Kartoffelbrei in Roberts Mund zu
schieben.
»Ganz gut so weit«, antwortete Marissa lustlos.
»Marissa, du schiebst dein Essen nur auf dem Teller herum.
Du musst etwas essen«, bat Denise und biss sich plötzlich auf
die Lippen, weil Roy ihr einen warnenden Blick zugeworfen
hatte.
Marissa legte die Gabel hin. »Ich hab einfach keinen Hunger.
Entschuldigt ihr mich bitte?«
Denise nickte nach anfänglichem Zögern. »Daddy und NorNor rufen wohl in etwa einer Stunde an.«
»Ich weiß.«
»Ich sag dir Bescheid, dann kannst du in unser Schlafzimmer
gehen und dort mit ihnen reden.«
Sterling war versucht, ihr zu folgen, wollte dann aber lieber
hören, was Denise Billy mitzuteilen hatte, wenn er anrief.
Denise wartete, bis Marissa oben auf der Treppe verschwunden war, ehe sie anfing zu sprechen. »Roy, ich hab es nicht über
mich gebracht, mit ihr über die Schule zu reden. Sie kann sich
offenbar nicht auf den Unterricht konzentrieren. Die Lehrerin
meint, Marissa gebe sich die Schuld dafür, dass Billy und Nor
weggegangen sind, und glaube, sie habe etwas falsch gemacht.«
»Das geht vielen Kindern so, deren Eltern etwas zustößt, sei
es Tod, Scheidung oder Trennung«, sagte Roy. »Wir müssen
einfach nur verständnisvoll sein.«
Roy ist eine gute Seele, dachte Sterling. Er gibt sich die größte Mühe.
»Runter, runter, runter.« Roy Junior war es leid, am Tisch zu
sitzen.
»Runter, runter«, echote Robert und kippelte mit seinem
Stuhl.
Roy aß noch etwas Salat und stand dann auf. »Kaffee gibt’s
später. Ich geh mit den beiden rauf und setz sie schon mal in die
Wanne.«
Denise begann den Tisch abzuräumen. Kurz darauf klingelte
das Telefon. »Oh, Billy, du bist aber früh dran«, sagte sie.
»Nein, natürlich ist Marissa nicht unterwegs. Wenn sie weiß,
dass du anrufst, rührt sie sich nicht vom Fleck aus Angst, sie
könnte dich verpassen. Gibt’s etwas Neues?«
Sie hörte zu und sagte dann: »Und wenn du mit ihr sprichst,
dann sag ihr doch, wie stolz du bist, dass sie so eine gute Schülerin ist. Wir wissen beide, dass sie alles tun würde, nur um dir
zu gefallen. Schön, ich geb sie dir. Schöne Grüße an Nor.«
Sie legte den Hörer auf den Tisch und trat an die Treppe.
»Marissa!«, rief sie.
Marissa war bereits oben an der Treppe. »Ist Daddy am Apparat?«
»Ja.«
Sterling eilte die Treppe hinauf und folgte Marissa, die im
Eilschritt ins Elternschlafzimmer lief. Sie machte die Tür fest
hinter sich zu.
Sterling hörte sich eine Zeit lang an, wie Marissa ihren Vater
anflehte, wieder zurückzukehren. Sie versprach, nie wieder zu
quengeln, dass er ins Kino gehen wollte, oder mit ihm ewig am
Telefon zu plaudern, wenn sie wusste, dass er zu tun hatte, oder…
Sterling trat zu ihr und bückte sich, um zu hören, was Billy
sagte. »Schätzchen, das Ganze hier hat nichts mit dir zu tun. Das
darfst du nicht einmal denken! Ich habe so gern mit dir telefoniert…«
»Warum gibst du mir dann jetzt nicht deine Telefonnummer?«, fragte Marissa unter Tränen.
»Rissa, ich kann es einfach nicht. Ich muss mir ein Telefon
leihen, wenn ich mit dir reden will. NorNor und ich wollen
nichts lieber, als so schnell wie möglich wieder mit dir zusammen zu sein. Wenn ich wieder da bin, dann mach ich das alles
wieder gut, das verspreche ich dir…«
Nachdem sie sich tränenreich von ihm verabschiedet hatte,
ging Marissa wieder in ihr Zimmer, setzte sich an den Schreibtisch und schaltete den CD-Player ein.
Die Klänge von Billys Hit-Single füllten den Raum. »I know
what I want… I knew what I need…«
Sie legte den Kopf auf die Arme und begann zu schluchzen.
Ich besorge dir, was du willst und brauchst, Marissa, schwor
Sterling sich im Stillen. Und wenn ich dafür Himmel und Hölle
in Bewegung setzen muss. Nein, mit Hilfe des Himmels, korrigierte er sich.
Er schloss die Augen und wandte sich an den Himmlischen
Rat: Würden Sie mich bitte dorthin versetzen, wo die BadgettBrüder gerade sind?
A
ls Sterling die Augen aufschlug, befand er sich in einem
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