Er sieht dich wenn du schläfst
aber ich muss zugeben, bei einer solchen Frau könnte ich zum
Feigling werden.«
Sie lachten. Der Mönch hob eine Hand. »Machen Sie nur,
Sterling. Tun Sie, was getan werden muss. Sie haben unsere
Unterstützung.«
»Danke, Sir.« Sterling schaute die Heiligen der Reihe nach an
und drehte dann den Kopf zum Fenster. Die Himmelstore waren
so nahe, dass er sie fast berühren konnte, wenn er den Arm ausstreckte.
»Zeit zu gehen, Sterling«, sagte der Mönch freundlich. »Wohin wollen Sie?«
»Nach Wallonia.«
»Wie Sie wollen«, sagte der Mönch und drückte auf den
Knopf.
L
eise rieselte der Schnee, ein kalter Wind wehte, und das Dorf Kizkek sah aus, als hätte sich in
den letzten tausend Jahren nichts verändert. Es lag in einem
kleinen Tal, schmiegte sich an den Fuß der schneebedeckten
Berge, die einen Schutzschild gegen die Außenwelt bildeten.
Sterling befand sich auf einer schmalen Straße am Rande des
Dorfes. Ein von einem Esel gezogener Karren näherte sich, und
er trat zur Seite. Dann konnte er einen Blick auf das Gesicht der
Person werfen, die auf dem Karren saß. Es war Mama HeddyAnna persönlich, die eine Ladung Holz transportierte.
Er folgte dem Karren um das Haus herum in den Hof. Dort
hielt Mama Heddy-Anna an, sprang ab, band den Esel an einen
Pfahl und begann, das Holz abzuladen. Sie warf es mit Schwung
an die Hauswand.
Sobald der Karren leer war, spannte sie den Esel aus und
schob den Karren in einen eingezäunten Teil des Hofes.
Sterling war verblüfft. Er folgte Mama in die steinerne Kate.
Sie bestand aus einem großen Raum, in dessen Mitte eine Feuerstelle errichtet war. Aus einem großen Topf über dem Feuer
verbreitete sich der köstliche Duft eines Fleischeintopfes.
Den Küchenbereich kennzeichnete ein Holztisch mit Bänken.
Mamas Schaukelstuhl stand vor einem Fernseher, der in dieser
Umgebung merkwürdig wirkte. Zwei weitere abgenutzte Stühle,
ein bestickter Läufer und eine zerkratzte Holzkommode rundeten die Einrichtung ab.
Die Wände waren mit Fotos bedeckt, auf denen Heddy-Annas
Sprösslinge und ihr inzwischen eingekerkerter Ehemann zu sehen waren. Den Kaminsims zierten gerahmte Bilder von verschiedenen Heiligen, offenbar Mamas Lieblinge.
Während Mama die schwere Jacke und den Schal ablegte, ging
Sterling die schmale Treppe in den ersten Stock hinauf. Dort befanden sich zwei kleine Schlafräume und ein winziges Bad. Das
eine Zimmer gehörte augenscheinlich Mama. Im anderen standen
zwei Betten nebeneinander – dort hatten offenbar Junior und Eddie in ihren entscheidenden Jahren das unschuldige Haupt gebettet. Nicht zu vergleichen mit dem kitschigen Herrenhaus an der
Nordküste von Long Island, das sie heute bewohnten.
Auf den Betten stapelte sich modische Frauenkleidung, an der
noch die Designer-Schildchen hingen. Allem Anschein nach
waren es Geschenke von den schmerzlich vermissten Söhnen,
Sachen, die ihre Mutter für unnütz hielt.
Sterling hörte leise ein Telefon klingeln und ging eilig die
Treppe hinunter. Er merkte plötzlich, dass der Himmlische Rat
ihn mit einer Gabe versehen hatte, um die er versehentlich nicht
gebeten hatte. Ich hätte nie gedacht, dass ich es noch erleben
würde, Wallonianisch zu verstehen, staunte er, als er hörte, wie
Mama einen Freund bat, er solle noch etwas Wein mitbringen.
Offensichtlich würden zehn Personen zum Mittagessen kommen, und sie wollte sichergehen, dass die Getränke nicht ausgingen.
Wie schön, dachte Sterling. Es kommt Gesellschaft. Das ist
der beste Weg, um herauszufinden, was für ein Mensch Mama
Heddy-Anna ist. Dann riss er die Augen auf. Sie sprach in ein
Wandtelefon im Küchenbereich. Neben dem Telefon, wo die
meisten Menschen Notrufnummern aufheben, hing ein schwarzes Brett mit einer nummerierten Liste.
Wahrscheinlich eine Einkaufsliste, vermutete er, bis er die
Worte las, die dort in kühner Schrift standen:
BESCHWERDEN UND SCHMERZEN
Sterling ging rasch die Liste durch:
1. schlimme Füße
2. Schmerzen im Herzbereich
3. Blähungen
4. Schwindelanfälle
5. zweimal übergeben
6. Essen schmeckt nicht mehr
7. brauche Operation
8. gebrochenes Herz
9. mache kein Auge zu
10. schlimmer Rücken
11. geschwollenes Zahnfleisch
Jetzt habe ich alles gesehen, dachte Sterling, nachdem er hinter
jedem Gebrechen einen Haken bemerkt hatte sowie das Datum
des jeweiligen Anrufs aus Amerika. Sie hat daraus eine Wissenschaft gemacht, dachte er, und verwendet kein Gebrechen
zweimal hintereinander.
Mama Heddy-Anna hatte
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