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Er

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Titel: Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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gehört hätte. Er sah es nicht wirklich, sie trug ja einen Ölanzug. Aber darunter lag die Stelle, und er verwünschte sich dafür, dass er in sich selbst nie heimisch geworden war. Das war nämlich der Punkt. Er hatte sich nie in Besitz genommen. In seinem Personalausweis stand Angus Morrison. Aber darunter hätte stehen müssen: Gehört nicht vollständig dem oben Genannten. Wenn einer seinen Wagen vom Rücksitz aus mit Krücken steuerte, das konnte nicht gut gehen. Wenn einer mit Stricknadeln Gitarre spielte, musste er sich nicht wundern, wenn die Töne keinem gefielen.
    Kontakt, dachte Angus. Er stand mit sich selbst nicht richtig in Kontakt. Der Stecker steckte nicht richtig in der Dose. Angus steckte nicht richtig in sich selbst.
    So kann man niemanden lieben, dachte er.
    Gut möglich, dass er das nicht im Fernsehen gehört hatte. Das war sein eigener Gedanke.
    »Kann ich jetzt nicht mehr ändern«, sagte er.
    »Was?«, fragte Craig.
    Dass er niemanden lieben konnte.
    »Nichts«, sagte Angus.
    »Wir sind gleich da«, sagte Craig zu Kevin. »Du machst das zum ersten Mal. Das ist keine Schande. Okay?«
    »Klar«, sagte Kevin.
    »Die Neulinge denken manchmal, sie müssten so tun, als sei’s ein Kinderspiel«, sagte Craig. »Als könnten sie’s schon. Aber es ist für keinen ein Kinderspiel. Schon gar nicht für die Gugas. Du bist der Killer. Von dir hängt es ab, ob sie leiden oder nicht. Behandle sie mit Respekt.«
    »Kein Problem«, sagte Kevin. Er räusperte sich. »Wirklich nicht. Ich weiß, wie’s geht.«
    »Dann erzähl mir, wie’s geht«, sagte Craig.
    »Du kletterst raus und holst die Gugas mit der Schlinge aus dem Nest«, sagte Kevin.
    »Welche Gugas?«, fragte Angus.
    »Sie dürfen nicht zu jung sein«, sagte Kevin. »Wir nehmen die, die auf der Stirn noch Daunen haben.«
    »Und wo noch?«, fragte Craig.
    »Auf der Stirn eben«, sagte Kevin.
    »Stirn, Rücken, Beine«, sagte Craig.
    »Geht auch einfacher«, sagte Angus. »Voller Daunen: zu jung. Keine Daunen: zu alt. Die in der Mitte ernten wir.«
    »Ich reich sie dir mit der Schlinge rüber«, sagte Craig. »Bist du Rechtshänder?«
    »Linkshänder«, sagte Kevin.
    »Dann hältst du den Körper in der rechten Hand fest. Drück nicht zu stark. Nur so, dass sie sich nicht mehr bewegen. Mit der linken Hand drehst du ihnen dann den Hals um. Du musst es knacken hören, dann ist es richtig. Dann gibst du den Guga sofort Angus.«
    »Ich schneide ihnen den Kopf ab«, sagte Angus. »Und das war’s dann.«
    Er schaute Craig an.
    Auf den letzten zwanzig Schritten zum Fanggebiet über der Kaverne klickte Leas Kamera schon, wenn sich einer die Nase rieb. Wie eine hungrige Möwe blieb sie auf Distanz und kam nur näher, wenn’s Futter gab.
    »Die nervt«, sagte Kevin. »Warum knipst die mich dauernd?«
    Weil du Angst hast, dachte Angus.
    »Weil sie hier was sieht, was wir nicht sehen«, sagte er. »Das ist der Unterschied, verstehst du? Sie hat mich zum Beispiel mal gezeichnet.« Der Stolz verbog seine Stimme. »Sie ist eine Künstlerin. Wer weiß, was sie da gerade sieht. Wir sehen’s nicht, weil wir den ganzen Tag Schafe auf den Rücken drehen. Aber sie sieht’s. Von ihr kannst du was lernen.«
    »Ich glaub, die ist einfach nur scharf auf dich«, sagte Kevin. »Du warst doch mal mit ihr zusammen, oder nicht?«
    Die Geigen der Lüge. Das Orchester begann zu fiedeln.
    »War ich«, sagte Angus. »Sogar ’ne ganze Weile.« Es ging ihm leicht von der Zunge. »Sie konnte gar nicht genug von mir kriegen. Weiß auch nicht, warum.«
    Das Seil wurde Angus schwer, er hängte es sich über die andere Schulter.
    »Pass auf, dass das Seil nicht zu nass wird«, sagte Craig.
    »Das ist schon nass«, sagte Angus.
    »Hätte nicht passieren dürfen.«
    »Das wird doch sowieso nass«, sagte Angus. Aber Craig hatte natürlich recht. Das Seil durfte nicht schon durchweicht sein, bevor einer in die Klippen stieg.
    »Nassen Knoten kann man nicht trauen«, sagte Craig.
    »Andere sagen, trockenen kann man nicht trauen«, sagte Angus.
    »Kommt auf den Knoten an«, sagte Craig. »Und prahl hier nicht rum.«
    »Was willst du denn damit sagen?«
    »Ich will damit sagen, dass du nicht rumprahlen sollst.«
    Sie erreichten die Stelle über Geodha à Phuill Bhàin. Hier war mit den Klippen nicht zu scherzen. Siebzig Meter hoch und lotrecht, und die Seite war dem Wind ausgesetzt, und unten drohte das Meer mit dem Finger.
    »Wann hab ich denn deiner Meinung nach geprahlt?«, rief Angus

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