Eragon 04 - Das Erbe Der Macht
Augen.
In der Stille ihres Geistes begann sie die Verse zu rezitieren, die sie immer aufsagte, wenn sie ihre Gedanken verbergen oder ihr Bewusstsein gegen einen Eindringling verteidigen wollte. Sie konzentrierte sich mit aller Macht darauf, entschlossen, Murtagh abzuwehren, wenn es nötig sein sollte, und außerdem entschlossen, an keines der Geheimnisse zu denken, die sie auf keinen Fall verraten durfte.
Ein Mann aus El-Harím, ein Mann mit gelben Augen,
der sagte: Flüstre nicht, denn Flüstern wird nie taugen.
Und ring nicht mit der Finsternis Dämonen –
auch wenn sie weichen,
so hinterlassen sie in deinem Geiste doch ein Zeichen.
Und lass dich mit den Schatten aus der Tiefe niemals ein –
sie suchen dich sonst selbst im Schlafe
wie ohnehin im Wachen heim.
Als Murtaghs Bewusstsein gegen ihres drängte, versteifte sie sich und begann die Zeilen des Gedichtes schneller zu rezitieren. Zu ihrer Überraschung fühlte sich sein Geist vertraut an. Die Ähnlichkeit zwischen seinem Bewusstsein und … Nein, sie konnte nicht sagen, wessen Bewusstsein, aber die Ähnlichkeit war verblüffend, ebenso wie die gleichermaßen auffälligen Unterschiede. Der größte Unterschied war sein Zorn, der im Kern seines Wesens lag wie ein kaltes schwarzes Herz, zusammengekrampft und reglos, mit Adern des Hasses, die sich daraus hervorschlängelten und sich um den Rest seines Geistes legten. Aber seine Sorge um sie übertraf seinen Zorn. Das zu sehen, überzeugte sie, dass seine Anteilnahme aufrichtig war. Denn es war unglaublich schwierig, sich im Innersten zu verstellen, und sie glaubte nicht, dass Murtagh sie so überzeugend hätte täuschen können.
Murtagh hielt Wort und machte keinen Versuch, mit Gewalt tiefer in ihren Geist einzudringen. Nach einigen Sekunden zog er sich zurück und sie war wieder allein mit ihren Gedanken.
Murtagh öffnete die Augen wieder ganz und meinte: »So. Werdet Ihr mich wiedererkennen, wenn ich meinen Geist zu Euch aussende?«
Sie nickte.
»Gut. Galbatorix kann vieles, aber er kann nicht nachahmen, wie sich der Geist einer anderen Person anfühlt. Ich werde versuchen, Euch zu warnen, bevor er anfängt, Eure Sinne zu verfälschen, und ich werde mich mit Euch in Verbindung setzen, wenn er damit aufhört. Auf diese Weise wird er nicht in der Lage sein, Euch den Sinn dafür zu rauben, was real ist und was nicht.«
»Danke«, erwiderte sie, unfähig, ihre ganze Dankbarkeit in ein so kurzes Wort zu fassen.
»Glücklicherweise haben wir noch etwas Zeit. Die Varden sind nur noch drei Tagesmärsche entfernt und von Norden kommen die Elfen schnell näher. Galbatorix ist damit beschäftigt, die letzten Vorbereitungen für die Verteidigung Urû’baens zu beaufsichtigen und seine Vorgehensweise mit Graf Barst zu besprechen, der das Kommando über die Armee führt, nachdem sie jetzt in der Stadt stationiert ist.«
Sie runzelte die Stirn. Das verhieß nichts Gutes. Sie hatte von Graf Barst gehört. Unter den Adligen an Galbatorix’ Hof galt er als gefürchteter Mann. Es hieß, er besitze einen außerordentlich scharfen Verstand und an seinen Händen klebe Blut. Angeblich vernichtete er ohne Gnade alle, die so töricht waren, sich ihm zu widersetzen.
»Nicht Ihr?«, fragte sie.
»Mit mir hat Galbatorix andere Pläne, obwohl er sie mir noch nicht mitgeteilt hat.«
»Wie lange wird er mit seinen Vorbereitungen noch beschäftigt sein?«
»Heute und morgen.«
»Denkt Ihr, Ihr könnt mich vor seiner Rückkehr befreien?«
»Ich weiß es nicht. Vermutlich nicht.« Für einen Moment herrschte Schweigen zwischen ihnen. Dann meinte er: »Jetzt habe ich eine Frage an Euch: Warum habt Ihr diese Männer getötet? Ihr wusstet, dass Euch die Flucht nicht gelingen würde. Habt Ihr es nur getan, um Galbatorix zu trotzen, wie er gesagt hat?«
Sie seufzte und hob den Kopf von Murtaghs Brust, bis sie aufrecht saß. Mit einigem Widerstreben ließ er ihre Schulter los. Sie wischte sich die Tränen von den Wangen, dann sah sie ihm direkt in die Augen. »Ich konnte nicht einfach daliegen und zulassen, dass er mit mir tat, was er wollte. Ich musste mich wehren. Ich musste ihm zeigen, dass er mich nicht gebrochen hatte, und ich wollte ihn so sehr verletzen, wie ich nur konnte.«
»Also war es Trotz!«
»Zum Teil. Wieso?« Sie erwartete, dass er seinen Abscheu ausdrücken oder ihre Taten verurteilen würde, aber stattdessen musterte er sie anerkennend und verzog die Lippen zu einem kleinen, wissenden Lächeln.
»Dann
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