Erbarmen
ausschalten?« Lasse lachte auf. »Ja, warum nicht?«, sagte er. »Jetzt, wo es schließlich ernst wird. Auf diese Weise verschafft sie uns wenigstens noch ein paar interessante letzte Tage.«
Schreckliche Worte. Die Frau wollte protestieren, aber der Mann brachte sie mit einigen harten Worten zum Schweigen. Dann erloschen plötzlich über ihr die blinkenden Leuchtstoffröhren.
Mit klopfendem Herzen stand sie einen Moment lang da und versuchte, sich an das schwache Licht zu gewöhnen, das von außen in den Raum strömte. Erst nahm sie die Ungeheuer dort draußen bloß als Schatten wahr, aber nach und nach zeichneten sie sich klarer ab. Die Frau am unteren Rand des einen Bullauges, der Mann sehr viel größer. Das ist Lasse, dachte sie. Langsam trat er näher. Seine undeutliche Gestalt gewann an Konturen. Breite Schultern, wohlproportioniert. Nicht wie dieser andere Mann, der lange, dünne.
Sie wollte sie verfluchen und gleichzeitig an ihr Erbarmen appellieren. Alles nur Erdenkliche tun, um sie dazu zu bringen, ihr zu sagen, warum sie ihr das antaten. Er war gekommen, Lasse, wie sie ihn nannten. Sie sah ihn zum ersten Mal, und das war auf eine beunruhigende Weise erregend. Er allein würde darüber entscheiden, ob sie mehr erfahren würde, das spürte sie. Und jetzt wollte sie ihr Recht einfordern. Aber als er einen Schritt näher trat und sie schließlich sein Gesicht sah, brachte sie keinen Ton heraus.
Sie sah schockiert auf seinen Mund. Sah, wie das verlegene Lächeln erschien. Sah, wie sich seine weißen Zähne langsam entblößten. Sah, wie sich alles zu einem großen Ganzen vereinte und Schockwellen wie elektrische Stromstöße durch ihren Körper sandte.
Jetzt wusste sie, wer Lasse war.
Kap 31 - 2007
Auf dem Rasen von Egely entschuldigte Carl sich sofort bei der Krankenschwester für die Episode mit Uffe, warf die Fotos und die Playmobil-Figuren in die Plastiktüte und ging mit langen Schritten zum Parkplatz. Im Hintergrund war noch immer Uffes Schreien zu hören. Erst als er den Wagen startete, entdeckte er Angehörige des Pflegepersonals, die reichlich chaotisch den Hang hinunterstürmten. Mit Nachforschungen auf Egelys Grund und Boden war jetzt eindeutig Schluss. Fair enough.
Uffe hatte sehr heftig reagiert. Jetzt wusste Carl, dass Uffe in irgendeiner Weise in derselben Welt wie alle anderen lebte. Uffe hatte Atomos auf dem Foto in die Augen geschaut, und das hatte ihn zutiefst erschüttert, das stand zweifelsfrei fest. Das war ein unwahrscheinlich großer Fortschritt.
Er hielt bei einem Feldweg an und suchte über den Internetanschluss des Dienstwagens nach der Einrichtung Godhavn. Wenig später hatte er die Telefonnummer.
Er brauchte sich nicht lang und breit vorzustellen. Die Leute dort waren es offenbar gewöhnt, dass sich die Polizei an sie wendete, und so konnte er gleich zur Sache kommen.
»Es geht um einen Jungen, der Anfang der Achtziger bei Ihnen gewohnt hat. Seinen Namen weiß ich nicht, aber er wurde Atomos genannt. Sagt das jemand von Ihnen was?«
»Anfang der Achtziger?«, wiederholte der Diensthabende. »Nein, so lange bin ich noch nicht hier. Aber wir haben Akten von allen Bewohnern. Allerdings kaum unter einem solchen Namen. Sind Sie sicher, dass Sie keinen anderen Namen haben, unter dem wir suchen können?«
»Leider ja.« Er blickte über die nach Gülle stinkenden Felder. »Gibt es keinen mehr bei Ihnen, der schon so lange angestellt ist?«
»Nein, nicht unter den festangestellten Mitarbeitern. Da bin ich mir ziemlich sicher. Aber - äh - wir haben noch einen pensionierten Mitarbeiter, John, der kommt ein paarmal in der Woche vorbei. Er kann nicht auf die Jungen verzichten und sie nicht auf ihn. Er hat damals bestimmt schon hier gearbeitet.«
»Und er ist nicht zufällig heute da?«
»John? Nein. Der ist im Urlaub. Gran Canaria für 1295 Kronen, kann man da widerstehen, wie er immer sagt. Aber am Montag kommt er zurück. Dann werde ich zusehen, wie wir ihn hierherlocken. Er kommt doch, damit es die Jungen gut haben. Die mögen ihn. Rufen Sie doch am Montag noch mal an, dann sehen wir weiter.«
»Könnte ich seine Nummer zu Hause bekommen?«
»Nein, tut mir leid. Niemals die Privatnummern unserer Angestellten weitergeben, das ist unsere Politik. Man weiß ja nie, wer anruft.«
»Ich heiße Carl Mørck, habe ich das nicht eingangs gesagt? Doch, ich glaube schon. Ich bin Kriminalbeamter, daran erinnern Sie sich vielleicht?«
Der Diensthabende lachte. »Wenn Sie so
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