Erbarmen
Vielleicht morgen?«
»Morgen? Nein, das kann ich nicht.«
»Wie meinst du das?«
»Morgen ist Samstag, und das ist mein freier Tag. Wenn ich ausgeschlafen habe, stehe ich auf und koche mir eine Tasse Kaffee, und dann gehe ich wieder ins Bett. Kann sein, dass ich den ganzen Tag nichts anderes mache, das weiß man nie. Außerdem hab ich keinen der Täter draußen auf Amager gesehen, was ich nun wirklich oft genug wiederholt habe, wenn du mal die Berichte nachliest. Und da mir das Gesicht des Mannes leider nicht im Traum erschienen ist, musst du damit rechnen, dass ich den Mann seither immer noch nicht gesehen habe. Deshalb werde ich nicht kommen. Ist das okay für dich, Jørgensen?«
Schon wieder dieses verdammte Schweigen. Das war ja nervtötender als diese Politiker, die ihre ewig langen Sätze mit einem Äh nach jedem zweiten Wort unterbrachen.
»Ob das okay ist, musst du selbst am besten wissen«, antwortete Jørgensen nach einer Weile. »Es waren schließlich deine Freunde, die der Mann zu Krüppeln gemacht hat. Wir haben jedenfalls eine Durchsuchung der Wohnung des Verdächtigen vorgenommen, und mehrere der Gegenstände, die wir dort fanden, deuten darauf hin, dass die Verbrechen von Amager und Sorø zusammenhängen.«
»Das ist gut, Jørgensen, Glückwunsch. Ich werde es in den Zeitungen verfolgen.«
»Du weißt, dass du als Zeuge auftreten musst, wenn der Fall vor Gericht kommt? Dass du das Hemd wiedererkannt hast, bringt die beiden Verbrechen zusammen.«
»Ja ja, muss ich wohl. Viel Glück.«
Er legte auf und spürte ein unangenehmes Gefühl im Brustbereich. Ein heftigeres Gefühl als zuvor. Das war vielleicht dem entsetzlichen Gestank zuzuschreiben, der plötzlich in den Wagen eindrang. Andererseits konnte da aber auch etwas Ernstes im Anmarsch sein.
Eine Minute lang saß er vollkommen still und wartete, bis sich der Druck etwas gelegt hatte. Der Traktorfahrer war jetzt ganz nahe. Carl erwiderte seinen Gruß und fuhr los. Nach etwa fünfhundert Metern bremste er ab, öffnete das Seitenfenster und schnappte gierig nach Luft. Er griff sich an die Brust und krümmte den Rücken, so weit es nur ging, um die Spannung loszuwerden. Dabei fuhr er an den Straßenrand und atmete tiefer und immer tiefer ein. Er hatte solche Panikattacken bei anderen gesehen, aber sie am eigenen Leib zu erfahren, war ein geradezu surreales Erlebnis. Er drückte die Tür auf und faltete die Hände vor dem Mund, um die Auswirkung des Hyperventilierens abzuschwächen. Mit den Füßen stieß er die Tür weit auf.
»Verfluchte Scheiße«, rief er, stieg aus und wankte vornübergebeugt an den Straßengraben. Sein Herz hämmerte wie ein harter Stempel. Plötzlich begannen sich die Wolken über ihm zu drehen, und der Himmel schien sich auf ihn zu senken. Während er noch fieberhaft in der Jackentasche nach seinem Handy suchte, ließ er sich zu Boden gleiten, um nicht plötzlich umzukippen. Sollte er etwa durch einen verdammten Herzanfall umkommen, ohne dass er selbst etwas dazu zu sagen hätte?
Ein vorbeifahrendes Auto verlangsamte seine Geschwindigkeit. Sie konnten ihn da unten im Straßengraben nicht sehen, aber er konnte sie hören. »Das sieht ja merkwürdig aus«, sagte eine Stimme, doch dann beschleunigte der Wagen und setzte seine Fahrt einfach fort. Wenn ich das Kennzeichen hätte, denen würde ich was erzählen, war Carls letzter Gedanke, dann wurde alles schwarz.
Mit dem Handy am Ohr und jeder Menge Erde auf den Lippen kam er wieder zu sich. Er spuckte aus, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und sah sich verwirrt um. Er fasste sich an die Brust. Der Druck war zwar noch immer nicht völlig verschwunden, aber offensichtlich stand es doch nicht ganz so schlimm um ihn. Mühsam kam er auf die Beine und schleppte sich zum Auto. Er ließ sich auf den Fahrersitz fallen und sah auf die Uhr. Kurz vor halb zwei. Also hatte er nicht so lange dort gelegen.
»Was war denn das, Car!?«, fragte er sich selbst. Sein Mund war staubtrocken und die Zunge doppelt so dick wie sonst. Seine Beine waren eiskalt, der Oberkörper dagegen schweißnass. In seinem Körper war etwas komplett schiefgegangen.
Du bist dabei, die Kontrolle zu verlieren, sagte eine innere Stimme. Da klingelte das Handy.
Assad fragte nicht, wie es ihm ginge, warum auch? »Carl, wir haben da ein Problem«, kam er sofort zur Sache, während Carl innerlich fluchte. »Die Techniker trauen sich nicht, die Ausstreichung in Merete Lynggaards Telefonbuch zu entfernen.
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