Erbarmen
Sie sagen, die Nummer und die Ausstreichung seien mit demselben Kuli gemacht. Und selbst wenn die Tinte zu unterschiedlichen Zeiten getrocknet ist, besteht die Gefahr, dass beide Schriften verschwinden. Das Risiko ist ihnen zu groß.«
Carl griff sich an die Brust. Jetzt fühlte es sich an, als würde er tonnenweise Luft schlucken. Es tat verflucht weh. War das wirklich ein Herzanfall gewesen? Oder fühlte es sich nur so an?
»Sie behaupten, wir müssten das nach England schicken. Sie haben irgendetwas von chemischem Aufweichen gesagt. Irgend so was.« Er wartete wohl darauf, dass Carl ihn korrigierte, aber Carl würde einen Teufel tun. Er war vollauf damit beschäftigt, die Augen zusammenzukneifen und die widerlichen Krämpfe auszuhalten, die in seinem Torso wüteten.
»Die sagen, das Resultat bekämen wir erst in drei bis vier Wochen. Ich finde, das dauert viel zu lange. Was meinst du?« Carl versuchte sich zu konzentrieren, aber Assad hatte nicht so viel Geduld.
»Ich wollte es dir eigentlich nicht sagen, Carl, aber ich habe das Gefühl, dass ich mit dir rechnen kann. Deshalb sage ich es jetzt doch. Ich kenne einen, der das für uns machen kann.« Hier wartete Assad wohl auf irgendeine Äußerung, aber es kam nichts. »Carl, bist du noch dran?«
»Verflucht, ja doch«, zischte dieser und atmete ganz tief durch. Es tat verdammt weh, doch dann ließ der Druck etwas nach. »Wer ist das?«, fragte er und versuchte sich zu beruhigen. »Nein, Carl, das willst du nicht wissen. Aber er kann was. Er kommt aus dem Mittleren Osten, ich kenne ihn ziemlich gut. Er kann wirklich was. Soll ich ihn darauf ansetzen?«
»Einen Augenblick, Assad, lass mich nachdenken.«
Mühsam stieg er aus und wankte zur Seite. Die Hände auf die Knie gestützt wartete er vornübergebeugt, dass das Blut wieder in den Kopf strömte. Er spürte, wie gut es tat, als der Druck im Kopf zu- und der in der Brust abnahm. Selbst der ekelhafte Gestank machte ihm jetzt nichts mehr aus. Die frische Luft war einfach wohltuend.
Als er sich wieder aufrichtete, fühlte er sich besser.
»Ja, Assad«, nahm er das Gespräch wieder auf. »Jetzt bin ich wieder da. Wir können keinen Passfälscher für uns arbeiten lassen, hörst du?«
»Wer sagt denn, dass er ein Passfälscher ist? Ich nicht.«
»Was ist er dann?«
»Er war dort, wo er herkommt, einfach nur gut in diesen Dingen. Er kann Stempel entfernen, ohne dass man es sieht. Dann wird er doch auch ein bisschen Tinte entfernen können. Mehr brauchst du gar nicht zu wissen. Er muss ja auch nicht wissen, womit er es zu tun hat. Er ist schnell, Carl, und es kostet nichts. Er ist mir noch einen Gefallen schuldig.«
»Wie schnell?«
»Wenn wir wollen, haben wir es am Montag.«
»Dann gib den Mist weiter. Gib ihn weiter.«
Assad murmelte irgendetwas. Vermutlich »okay« auf Arabisch.
»Noch eines, Carl. Ich soll dir von Frau Sørensen oben aus dem Morddezernat ausrichten, dass diese Zeugin von dem Fahrradmord angefangen hat, ein bisschen zu reden. Ich habe erfahren, dass sie ...«
»Stopp, Assad. Das ist nicht unser Fall.« Er setzte sich wieder ins Auto. »Wir haben genug mit unseren eigenen Sachen zu tun.«
»Frau Sørensen wollte das nicht direkt so zu mir sagen, aber ich glaube, dass die oben aus der zweiten Etage gern deine Meinung hören würden, aber ohne dich so direkt zu fragen.«
»Dann frag sie aus, Assad, alles, was sie weiß. Und fahr am Montagmorgen zu Hardy und erzähl es ihm. Ich bin überzeugt davon, dass es ihn mehr amüsieren wird als mich. Nimm ein Taxi. Wir sehen uns dann anschließend im Präsidium, okay? Du kannst jetzt ruhig freimachen. Mach's gut, Assad. Grüß mir Hardy und sag ihm, ich käme nächste Woche vorbei.«
Er drückte auf die Taste mit dem roten Hörer. Als er losfahren wollte, entdeckte er, dass die Windschutzscheibe aussah, als hätte es geregnet. Hatte es aber nicht. Der Güllefahrer war nur sehr dicht an ihm vorbeigefahren.
Auf Carls Schreibtisch stand ein üppig mit Ornamenten verzierter Samowar. Falls Assad geglaubt hatte, die Ölflamme würde den Tee heiß halten, bis Carl zurückkam, hatte er sich getäuscht. Die gesamte Flüssigkeit war verdampft und der Kessel inzwischen so trocken, dass der Boden gefährlich knackte. Er blies die Flamme aus, dann ließ er sich schwer auf den Schreibtischstuhl fallen. Wieder spürte er diesen Druck in der Brust. Davon hatte er schon gehört. Eine Warnung, dann die Erleichterung. Eine erneute kurze Warnung und
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