Erbarmen
Genuss von Rotwein und koffeinhaltigen Drinks eher wie altes Zeitungspapier aussah.
»Und das wäre?«, sagte sie.
Er gab sich einen Ruck. »Interessieren Sie sich für das andere Geschlecht?« Er erschrak selbst, wie plump das klang, aber nun war es zu spät. »Bitte entschuldigen Sie.« Er schüttelte den Kopf. Wie sollte er jetzt weiterkommen? »Ich wollte eigentlich nur fragen, ob Sie vielleicht eines Tages eine Einladung zum Essen annehmen würden?«
Ihr Lächeln erstarrte. Die weißen Zähne und die weichen Gesichtszüge waren verschwunden.
»Carl, ich glaube, Sie sollten eine derartige Offensive erst in Angriff nehmen, wenn Sie sich vollständig erholt haben. Und dann sollten Sie Ihr Opfer sorgfältiger auswählen.«
Sie drehte sich um und öffnete die Tür zum Gang. Er spürte, wie sich der Ärger blitzschnell in seinem ganzen Körper ausbreitete. Verdammter Mist. »Wenn Sie meinen, dass Sie nicht zu der Kategorie >sorgfältig ausgewählt< gehören«, brummte er, »dann wissen Sie offenbar nicht, welche Wirkung Sie auf das andere Geschlecht haben.«
Sie drehte sich um, streckte ihm eine Hand entgegen und deutete auf den Ring an ihrem Finger.
»Doch, das weiß ich schon«, sagte sie und bewegte sich rückwärts aus der Kampfzone.
Da stand er nun mit hängenden Schultern, in den eigenen Augen einer der besten Ermittler, den das Königreich Dänemark zu bieten hatte, und fragte sich, wie er etwas so Elementares hatte übersehen können.
Das Heim in Godhavn meldete sich. Man informierte ihn, dass man mittlerweile den pensionierten Pädagogen John Rasmussen erreicht hätte. Er habe vor, am nächsten Tag seine Schwester in Kopenhagen zu besuchen, und da er das Polizeipräsidium der Stadt schon immer mal besichtigen wollte, würde er Carl sehr gern gegen zehn, halb elf einen Besuch abstatten, wenn das in Ordnung wäre. Carl konnte ihn nicht selbst anrufen, so waren nun mal ihre Regeln, aber wenn ihm etwas dazwischenkäme, solle er das Heim verständigen.
Erst, als er den Hörer aufgelegt hatte, war er wieder in der Realität angekommen. Nach dem Misserfolg bei Mona Ibsen hatten sich seine Gedanken unentwegt im Kreis gedreht, nun musste er endlich wieder richtig in Gang kommen. Der pensionierte Sozialpädagoge von Godhavn, der auf Gran Canaria gewesen war, wollte ihm also einen Besuch abstatten. Vielleicht hätte Carl sich vergewissern sollen, dass sich der Mann überhaupt an einen Jungen namens Atomos erinnerte, bevor er sich als Fremdenführer im Präsidium anbot. Verdammter Mist.
Er holte mehrmals tief Luft und bemühte sich, Mona Ibsen und ihre Katzenaugen aus seinem Kopf zu verbannen. Im Lynggaard-Fall gab es jede Menge kleine Fäden, die zusammengefügt und zu einem Knoten verbunden werden mussten. Er musste sich einfach nur darauf einlassen und loslegen, ehe ihn das Selbstmitleid vollkommen lähmte.
Zu den ersten Aufgaben gehörte, dass sich die Familienhelferin Helle Andersen aus Stevns die Fotos anschauen sollte, die er in Dennis Knudsens Haus bekommen hatte. Vielleicht ließ sie sich auch mit ein paar schmeichelhaften Worten von einem Vizekriminalkommissar ins Präsidium locken? Alles, wenn er nur nicht noch mal über diesen Fluss fahren musste, den Tryggevælde Å.
Er wählte ihre Nummer und bekam den Herrn Gemahl an den Apparat, der noch immer behauptete, wegen unglaublicher Rückenschmerzen krankgeschrieben zu sein. Er klang allerdings erstaunlich munter. Sagte »Hallo Carl«, als hätten sie mal zusammen im Pfadfinderlager aus demselben Topf gefuttert.
Ihm zuzuhören war wie neben der Tante zu sitzen, die nie einen Mann abbekommen hatte. Äh, doch, ja, natürlich würde er Helle ans Telefon rufen, wenn sie denn zu Hause wäre. Nein, sie war immer bis spät abends bei ihren Klienten. Hoppia, nun hörte er doch ihr Auto in der Auffahrt. Jawohl, sie hatte doch ein neues Auto, den Unterschied zwischen einem 1,7er und einem 1,6er konnte man deutlich hören. Und es stimmte einfach, was der Mann im Fernsehen sagte, dass diese Suzuki nämlich verdammt noch mal hielten, was sie versprachen. Nein, also wenn man seinen alten Opel gerade zu einem guten Preis abgestoßen hatte, war das allerhand. So plapperte der Ehemann dahin, bis im Hintergrund seine Frau mit schriller Stimme ihre Ankunft kundtat: »Hallo Ole! Bist du das? Hast du das Holz aufgestapelt?«
Gut für Ole, dass diese Frage nicht der Krankenkasse zu Ohren kam.
Als sie endlich ein wenig Atem geschöpft hatte, war Helle Andersen herzlich
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