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Erbarmen

Erbarmen

Titel: Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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als beim letzten Mal, sie waren fransig geschnitten. Die Augenbrauen waren rabenschwarz. Alles in allem wirkte sie auf ihn erschreckend.
    Es gelang ihm dennoch, die Geschichte von seinem Zusammenbruch auf dem Acker zu berichten. Er hatte wohl so etwas wie Mitgefühl erwartet.
    Stattdessen kam sie unmittelbar zur Sache. »Haben Sie das Gefühl, dass Sie bei der Schießerei Ihre Kollegen im Stich gelassen haben?«
    Carl schluckte ein paarmal, faselte etwas von einer Pistole, die man schneller hätte ziehen können, und von Instinkten, die beim jahrelangen Umgang mit Kriminellen vielleicht ein bisschen abgestumpft seien.
    »Sie haben also ganz offensichtlich das Gefühl, Sie hätten ihre Freunde im Stich gelassen. Solange Sie nicht einsehen, dass Sie das, was geschehen ist, auf gar keinen Fall hätten verhindern können, werden Sie darunter leiden.«
    »Das alles hätte aber auch ganz anders verlaufen können«, entgegnete er.
    Ohne darauf einzugehen, fuhr sie fort: »Sie müssen wissen, dass ich auch Hardy Henningsen behandele. Ich sehe den Fall deshalb von zwei Seiten. Ich hätte mich von Anfang an für befangen erklären sollen. Es gibt allerdings keine Vorschrift, die das verlangt. Deshalb frage ich Sie, ob Sie, da Sie es nun wissen, immer noch mit mir reden wollen. Es muss Ihnen klar sein, dass ich nicht auf das eingehen werde, was mir Hardy Henningsen erzählt, so wie Sie natürlich durch meine Schweigepflicht ebenfalls geschützt sind.«
    »Das ist in Ordnung«, sagte er, ohne es zu meinen. Hätte nicht dieser zarte Flaum ihre Wangen bedeckt und hätten ihre Lippen nicht dermaßen danach geschrien, geküsst zu werden, wäre er aufgestanden und hätte gesagt, sie könne zum Teufel gehen. »Aber ich will mit Hardy darüber reden«, sagte er. »Hardy und ich können keine Geheimnisse voreinander haben, das geht nicht.«
    Sie nickte und setzte sich noch aufrechter hin. »Waren Sie jemals in einer Situation, bei der Sie das Gefühl hatten, sie wüchse Ihnen über den Kopf?«
    »Ja«, sagte er.
    »Und wann?«
    »In diesem Augenblick.« Er sah sie vielsagend an. Sie ignorierte seinen Blick. Kaltes Weib.
    »Was würden Sie darum geben, dass Anker und Hardy noch hier herumlaufen könnten?«, fragte sie und schloss gleich vier weitere Fragen an, die in ihm ein sonderbares Gefühl von Trauer auslösten. Bei jeder Frage sah sie ihm in die Augen und notierte seine Antworten auf einem Block. Er hatte das Gefühl, als wolle sie ihn zwingen, bis an den Rand, an den Abgrund zu gehen. Als sollte er fallen, ehe sie bereit wäre, ihm helfend die Hand hinzustrecken.
    Sie bemerkte das dünne Rinnsal, das von seiner Nase lief, noch vor ihm selbst. Dann hob sie den Blick und sah die Tränen, die sich in seinen Augen sammelten.
    Du darfst auf keinen Fall blinzeln, sonst fangen sie an zu laufen, sagte er sich selbst und begriff nicht, was sich da in ihm rührte. Er hatte keine Angst zu weinen, hatte auch nichts dagegen, dass sie es sah, er begriff nur einfach nicht, warum es ausgerechnet jetzt passierte.
    »Weinen Sie nur«, sagte sie, so wie man einem Baby gut zuredet, doch sein Bäuerchen zu machen.
    Als zwanzig Minuten später die Sitzung beendet war, hatte Carl die Nase voll. Er hatte genug davon, sich zu entblößen, seine Gefühle und Gedanken preiszugeben. Mona Ibsen hingegen wirkte zufrieden, als sie ihm einen neuen Termin gab und zum Abschied die Hand reichte. Sie versicherte ihm erneut, dass er keine Schuld am Ausgang der Schießerei trüge und dass er im Laufe der Behandlung bald wieder zu sich selbst finden würde.
    Er nickte. In gewisser Weise ging es ihm tatsächlich besser.
    Vielleicht weil ihr Duft seinen eigenen überlagerte und weil sich ihr Händedruck so leicht und weich und warm anfühlte.
    »Carl, wenn Sie etwas auf dem Herzen haben, nehmen Sie bitte zu mir Kontakt auf. Egal, worum es sich handelt, ob Sie finden, es sei nur eine Kleinigkeit, oder ob es etwas Großes ist. Man weiß nie, ob und inwiefern es für unsere weitere Zusammenarbeit wichtig ist.«
    »Dann hätte ich gleich schon eine Frage«, sagte er und versuchte, sie seine sehnigen Hände sehen zu lassen. Immer wieder hatten Frauen ihm im Lauf der Jahre zu verstehen gegeben, wie sexy seine Hände seien.
    Sie bemerkte sein Posieren und lächelte zum ersten Mal.
    Hinter den weichen Lippen deutete sich eine Reihe Zähne an, die noch weißer waren als die von Lis in der zweiten Etage. Ein seltener Anblick in einer Zeit, wo das Gebiss der meisten durch den

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