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Erbarmen

Erbarmen

Titel: Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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sei. Mortens Reaktion war vorhersehbar. Trotzdem war es überraschend, zu sehen, in welchem Ausmaß dieser große Mensch, dieses schwabbelige Beispiel für die verheerenden Auswirkungen fettreicher Ernährung und Bewegungsmangel, vor Zorn erbebte. Unglaublich, wie eine Kränkung einen Körper derart zum Zittern bringen konnte und wie sich Enttäuschung dermaßen wortreich ausdrücken ließ. Carl war Morten nicht nur auf die langen Zehen getreten, er hatte sie offenbar total zerquetscht.
    Carl blickte verärgert auf die kleine Plastikfamilie, die da auf dem Küchentisch stand, und hätte das Ganze nur zu gern ungeschehen gemacht. Da kam der Druck in der Brust in ganz neuer Form zurück. Diesmal waren es nicht nur Schmerzen. Die Haut schien zu eng zu sein, die Muskeln vom Blutandrang zu kochen. Krämpfe der Bauchmuskulatur drückten seine Eingeweide gegen die Wirbelsäule. Der Puls geriet außer Rand und Band. Es tat nicht nur weh, es hinderte ihn auch daran, Luft zu holen.
    Morten, der vollauf damit beschäftigt war, Carl zu beschimpfen, er möge sich nach einem anderen Mieter umsehen, bemerkte davon überhaupt nichts. Erst als Carl von Krämpfen des Oberkörpers geschüttelt zu Boden fiel, nahm Morten ihn wieder wahr. Sekunden später kniete er neben Carl und fragte ihn mit weit aufgerissenen Augen, ob er ein Glas Wasser haben wolle.
    Ein Glas Wasser, wofür zum Teufel soll das denn gut sein, schoss es Carl durch den Kopf. Wollte er es über ihn ausgießen? Um dem Körper eine kleine Erinnerung an einen kurzen Sommerregen zu vermitteln? Oder hatte er vor, es ihm zwischen den zusammengepressten Zähnen hindurch zu verabreichen?
    »Danke, gern, Morten«, zwang er sich zu sagen. Alles, Hauptsache, sie könnten sich auf halbem Wege entgegenkommen, und sei es auf dem Küchenfußboden.
    Als er schließlich wieder auf die Beine gekommen war und am einen Ende des durchgesessenen Sofas saß, gewann in dem erschrockenen Morten der Pragmatismus die Oberhand. Wenn ein gleichmütiger Mensch wie Carl seine Entschuldigung mit einem so heftigen Zusammenbruch untermauerte, dann meinte er auch wirklich, was er sagte.
    »Also gut, Carl. Ziehen wir einen Schlussstrich unter die Geschichte, okay?«, sagte er mit ernster Miene.
    Carl nickte. Alles. Hauptsache, der Hausfrieden war gesichert und er bekam ein paar Stunden Ruhe, bevor Mona Ibsen in seinem Inneren zu graben begann.
     

Kap 32 - 2007
     
    Im Wohnzimmer hatte Carl hinter den Büchern im Regal zwei halb leere Flaschen Gin und Whisky versteckt. Jesper, der sonst hemmungslos überall herumschnüffelte und seine Funde bei improvisierten Partys großzügig unter die Leute brachte, hatte das offenkundig nicht mitbekommen.
    Carl trank beide Flaschen fast komplett leer, ehe er zur Ruhe kam und in einen tiefen Schlaf fiel. Das Wochenende zog sich in unendlich langen Stunden dahin. In den beiden Tagen stand er nur dreimal auf, um sich etwas aus dem Kühlschrank zu holen. Jesper war sowieso nicht zu Hause, und Morten besuchte seine Eltern in Næstved. Wen kümmerten also abgelaufene Haltbarkeitsdaten und ungesunde Ernährung.
    Als der Montag kam, war Jesper an der Reihe, Carl wachzurütteln. »Nun steh doch endlich auf, Carl. Was ist denn hier los? Ich brauch Geld für was zu essen. Der Kühlschrank ist total leer gefressen.«
    Er blinzelte. Seine Augen weigerten sich zu begreifen, geschweige denn zu akzeptieren, dass es bereits heller Tag war. »Wie spät ist es?«, murmelte er und wusste nicht einmal, welcher Wochentag es war.
    »Komm schon, Carl. Ich bin verdammt spät dran.«
    Er sah zu der Wanduhr, die ihm Vigga gnädigerweise überlassen hatte. Sie selbst hatte keinerlei Verständnis für Menschen, die verschliefen.
    Urplötzlich hellwach, riss er die Augen auf. Es war zehn nach zehn! In fünfzig Minuten musste er einfach auf seinem Platz sitzen, damit Mona Ibsens wertvoller Behandlerblick auf ihm ruhen konnte.
    »Es fällt Ihnen zurzeit also schwer, pünktlich aufzustehen?«, konstatierte sie nach einem raschen Blick auf ihre Armbanduhr. »Wie ich sehe, schlafen Sie immer noch schlecht«, fuhr sie fort.
    Er ärgerte sich. Vielleicht hätte es geholfen, wenn er noch ins Bad gekommen wäre, ehe er aus der Tür stürzte. Wenn ich nur nicht stinke, dachte er und schob die Nase in Richtung der Achselhöhlen.
    Sie saß gelassen da, ihre Hände lagen ruhig in ihrem Schoß.
    Die Beine hatte sie ausgestreckt und übereinandergeschlagen. Sie trug eine schwarze Hose. Ihre Haare waren kürzer

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