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Erbarmen

Erbarmen

Titel: Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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sei nichts als ein Furz im Wasserglas.«
    »Okay, das ist okay.« Carl nickte verbissen. »Und meinst du das auch so?«
    »Carl. Jetzt hör mir mal zu. Du bist seit Jahren im Dienst. Wie oft ist es in deiner Laufbahn schon vorgekommen, dass ein Kollege bei einem Einsatz in die Ecke gedrängt wurde? Denk mal an das allererste Mal, damals als du selbst als junger Polizist in Randers, oder wo das nun war, Streife gingst. Und plötzlich stand da eine Gruppe sturzbetrunkener Arschlöcher vor dir, denen deine Uniform nicht passte. Kannst du dich an das Gefühl erinnern? Im Laufe der Jahre kommt man immer mal wieder in Situationen, die noch hundertmal schlimmer sind. Ich habe es erlebt, Lars Bjørn und Bak haben es erlebt, und eine Menge alter Kollegen, die heute etwas anderes machen, haben es erlebt. Bedroht zu werden. Mit Äxten und mit Vorschlaghämmern, mit Metallstangen, Messern, abgesplitterten Bierflaschen, Schrotflinten und anderen Schusswaffen. Und wie oft gelingt es einem, mit so einer Situation fertig zu werden? Wir haben alle schon mal tief in der Scheiße gesteckt. Wenn einem das nicht mal passiert ist, war man doch kein guter Polizist, oder? Wir müssen jeden Tag aufs Neue da raus, und immer wieder kommt es vor, dass man plötzlich mal keinen Boden unter den Füßen hat. Das ist eben unser Job.«
    Carl nickte und spürte, wie sich der Druck anders als zuvor in seiner Brust aufbaute. »Und was ist dann hiermit, Chef?«, fragte er und deutete auf den Zeitungsartikel. »Was sagst du dazu? Wie denkst du darüber?«
    Der Chef der Mordkommission sah Carl ruhig an. Wortlos stand er auf, öffnete das Fenster zum Tivoli, beugte sich vor, nahm die Zeitung, tat so, als wischte er sich damit den Hintern ab, drehte sich zum Fenster um und warf den ganzen Mist hinaus.
    Deutlicher konnte er es nicht ausdrücken.
    Carl spürte, wie sich seine Mundwinkel nach oben zogen. Da unten gab es jetzt einen Fußgänger, der gerade ein Fernsehprogramm gratis bekam.
    Er nickte seinem Chef zu. Es war eigentlich richtig rührend. Ihre Unterhaltung schien beendet, und Carl machte Anstalten zu gehen.
    »Ich bin kurz davor, dass ich mit neuen Informationen im Fall Lynggaard aufwarten kann«, sagte er noch.
    Marcus Jacobsens Nicken drückte eine gewisse Anerkennung aus. Das waren die Situationen, in denen man verstand, warum er so beliebt war und warum er seit mehr als dreißig Jahren dieselbe schöne Frau an seiner Seite hatte. »Und denk dran, Carl, dass du dich immer noch nicht zu dem Kurs für Führungskräfte angemeldet hast. Spätestens morgen ist das erledigt, ist das klar?«
    Carl nickte, aber das hatte nichts zu sagen. Wenn der Chef allerdings darauf bestand, musste er noch einmal bei der Gewerkschaft vorbeischauen.
    Die vier Minuten vom Büro des Chefs der Mordkommission bis hinunter in den Keller waren der reinste Spießrutenlauf. Höhnische Blicke und missbilligende Gesten begleiteten seinen Weg. Du bist eine Schande für uns alle, drückten manche der Augen aus. Verfluchter Mist, das könntet ihr doch genauso gut selbst sein, dachte er. Sie sollten ihn lieber unterstützen. Dann würde er sich auch bestimmt nicht mehr so fühlen, als stünde ihm ein ausgewachsener Ochse gegenüber und stieße gegen seinen Brustkasten.
    Sogar Assad unten im Keller hatte den Artikel gesehen. Aber er klopfte Carl wenigstens auf den Rücken. Er fand das Bild auf der Vorderseite »schön scharf«, aber die Zeitung sei viel zu teuer. Solche neuen Gesichtspunkte waren erfrischend.
    Punkt zehn Uhr kam oben aus dem »Käfig« am Eingang ein Anruf. »Hier ist jemand für dich, Carl«, sagte der Wachhabende kalt. »Erwartest du einen John Rasmussen?«
    »Ja, schick ihn einfach runter.«
    Fünf Minuten später hörten sie draußen auf dem Gang zögernde Schritte, gefolgt von einem vorsichtigen: »Hallo, ist da jemand?«
    Als Carl die Tür öffnete, sah er sich einem Anachronismus in Islandpulli und Samthosen und dem ganzen Kram gegenüber.
    »John Rasmussen. Ich war früher Erzieher in Godhavn, wir sind verabredet«, sagte er und streckte ihm die Hand entgegen. »Sind Sie das auf der Vorderseite einer dieser Wochenzeitungen?«
    Es war zum Verrücktwerden. Jemand in diesem Aufzug sollte sich doch eigentlich zu gut sein, sich so etwas anzuschauen.
    Schnell einigten sie sich darauf, erst das Gespräch zu führen und dann die Führung durch das Präsidium zu machen. Carl hoffte, ihn mit einer Miniführung im Erdgeschoss und einem schnellen Blick in die Innenhöfe

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