Erbarmen
abspeisen zu können.
John Rasmussen erinnerte sich an Atomos, wie er sofort klarstellte. Der Mann schien nett zu sein, wenn auch etwas umständlich. Gar nicht der Typ, für den unangepasste Rüpel die nötige Geduld aufbringen würden. Das war zumindest Carls Eindruck. Aber es gab mit Sicherheit immer noch etliches, das Carl von unangepassten Rüpeln nicht wusste.
»Ich werde dafür sorgen, dass wir Ihnen die Unterlagen faxen, die wir im Heim über ihn haben. Ich habe mit denen im Büro gesprochen, das geht klar. Leider gibt es da nicht mehr sehr viel. Atomos' Akte mit der Anamnese und allem verschwand vor einigen Jahren, und als wir sie schließlich hinter einem Regal wiederfanden, fehlte mindestens die Hälfte.« Er schüttelte den Kopf, dass die schlaffe Haut unter seinem Kinn schlackerte.
»Warum war er bei Ihnen dort oben untergebracht?«
Er zuckte die Achseln. »Ach, Sie wissen schon, die üblichen Probleme zu Hause, dann Unterbringung in einer Pflegefamilie, die vielleicht nicht die beste Wahl war. Dann kommen die Reaktionen, und manchmal gerät es außer Kontrolle. Er war wohl an sich ein guter Junge, aber er war unterfordert und sein Kopf zu helle. Keine schöne Kombination. Sie können das überall in den Fremdarbeiterghettos beobachten. Sie werden förmlich von innen heraus gesprengt, diese jungen Menschen, vor lauter unverbrauchter Kraft und Energie.«
»War er kriminell?«
»In irgendeiner Hinsicht war er das wohl. Aber meines Wissens nur Kleinigkeiten. Ja, okay, er konnte sehr heftig reagieren, aber ich kann mich nicht erinnern, dass er in Godhavn von Grund auf gewalttätig war. Nein, daran kann ich mich gar nicht erinnern, aber das ist ja auch schon zwanzig Jahre her, nicht wahr?«
Carl zog den Block vor. »Ich möchte Ihnen jetzt relativ zügig ein paar Fragen stellen und wäre dankbar, wenn Sie sie einfach beantworteten. Wenn Ihnen nichts dazu einfällt, gehen wir weiter. Sie können jederzeit darauf zurückkommen, wenn Ihnen die Antwort später einfällt. Okay?«
Der Mann nickte Assad freundlich zu, als der ihm etwas von seinem klebrigen, glühend heißen Gebräu in einem allerliebst goldgeblümten Tässchen anbot, und nahm es lächelnd entgegen. Das würde er schon noch bereuen.
Dann richtete er den Blick auf Carl. »Ja«, sagte der Mann. »Verstanden.«
»Der richtige Name des J ungen?«
»Soviel ich weiß, hieß er Lars Erik oder Lars Henrik oder so ähnlich. Und er hatte einen ganz gewöhnlichen Nachnamen. Petersen, glaube ich. Aber das kann ich Ihnen faxen.«
»Warum wurde er Atomos genannt?«
»Das hatte wohl mit der Arbeit seines Vaters zu tun. Er hat seinen Vater bewundert. Sehr sogar. Er hatte ihn einige Jahre zuvor verloren, aber ich glaube, sein Vater war Ingenieur und arbeitete auf der Atomversuchsstation der Insel Risø. Genau weiß ich es nicht. Aber ich glaube, dass Sie das ziemlich leicht herausfinden können, wenn Sie erst den vollständigen Namen des Jungen und seine Personennummer haben.«
»Sie haben noch immer die Personennummer?«
»Ja. Die war zwar mit den anderen Sachen in der Akte verschwunden, aber wir haben in der Buchhaltung ein besonderes System, das hängt mit den Zuschüssen von Kommune und Staat zusammen. Jedenfalls ist die Personennummer der Akte beigeheftet.«
»Wie lange ist er bei Ihnen gewesen?«
»Ungefähr drei bis vier Jahre, glaube ich.«
»Wenn man sein Alter in Betracht zieht, war das aber recht lange, nicht?«
»Ja und nein. So ist es eben manchmal. Ihn anderswo unterzubringen war unmöglich. In eine neue Pflegefamilie wollte er auf keinen Fall, und seine Mutter war zu diesem Zeitpunkt noch nicht in der Lage, ihn selbst wieder aufzunehmen.«
»Haben Sie seither etwas von ihm gehört? Wissen Sie, was aus ihm geworden ist?«
»Ich bin ihm zufällig ein paar Jahre später begegnet, und da schien es ihm ausgezeichnet zu gehen. Ich glaube, das war in Helsingør. Er arbeitete, soweit ich weiß, als Steward oder Steuermann oder so was. Jedenfalls trug er eine Uniform.«
»Sie glauben, er war Seemann?«
»Ja, etwas in der Art.«
Ich muss zusehen, dass mir Scandlines die Mannschaftsliste der Fähre schickt, dachte Carl. Das heißt - die hätte doch eigentlich vorliegen müssen, oder? Carl hatte wieder Baks schuldbewusstes Gesicht vor Augen, als er am Donnerstag oben beim Chef gesessen hatte.
»Einen Augenblick bitte«, entschuldigte er sich bei Rasmussen. Dann rief er Assad zu, er solle zu Bak hinaufgehen und ihn fragen, ob er damals die
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