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Erbarmen

Erbarmen

Titel: Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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Mannschaftsliste von der Fähre besorgt habe, auf der Merete Lynggaard verschwand, und wo die abgeblieben sei.
    »Merete Lynggaard? Geht es darum?« Der Mann bekam auf einmal leuchtende Augen. Er nahm einen großen Schluck von dem überzuckerten Tee.
    Carl schenkte ihm ein Lächeln, machte dann aber, ohne zu antworten, mit den Fragen weiter.
    »Hatte der Junge psychopathische Züge? Konnte er Empathie empfinden?«
    Der Erzieher sah durstig in seine leere Tasse. Offenkundig gehörte er zu denen, die ihre Geschmacksknospen in den Tagen von Mikro-Makro abgehärtet hatten. Dann zog er seine grauen Augenbrauen in die Höhe. »Viele der Jungen, die zu uns kommen, sind emotional abweichend. Natürlich wird für den einen oder anderen von ihnen eine Diagnose gestellt, aber ich kann mich nicht erinnern, ob das im Fall von Atomos geschehen ist. Ich glaube schon, dass er Empathie empfand. Er machte sich jedenfalls oft Sorgen um seine Mutter.«
    »Gab es einen Grund? War sie drogenabhängig oder so etwas?«
    »Nein, nein, das war sie nicht. Aber ich meine mich zu erinnern, dass sie ziemlich krank war. Deshalb dauerte es so lange, bis er wieder in die Familie zurückkonnte.«
    Schließlich war Carl mit seiner Befragung am Ende. Die anschließende Führung fiel recht kurz aus. John Rasmussen erwies sich als unersättlicher Betrachter, der alles kommentierte, was ihm vor die Augen kam. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten sie jeden Quadratmeter des Präsidiums abgeschritten. Jedes noch so kleine Detail war für John Rasmussen von derart großem Interesse, dass Carl schließlich so tat, als habe er in seiner Tasche einen Piepser, der Alarm schlug. »Ja, also, es tut mir leid, aber ich werde zu einem Mordfall gerufen«, sagte er, so ernsthaft, dass der Erzieher keinen Moment an seinen Worten zweifelte. »Ich fürchte, wir müssen die Führung vorzeitig abbrechen. Vielen Dank, dass Sie gekommen sind. Ich rechne dann also mit einem Fax von Ihnen. Sollen wir sagen, in zwei Stunden?«
    Stille hatte sich über Carls Büro gesenkt. Vor ihm lag ein Zettel, auf dem stand, dass Bak nichts von einer Mannschaftsliste wusste. Verdammt, was hatte er denn auch erwartet?
    Von Assads Zimmerchen war aus der Ecke mit dem Gebetsteppich leises Gemurmel zu hören, aber ansonsten war es vollkommen still.
    Die Stille nach dem Sturm. Das Telefon hatte mindestens eine Stunde lang unablässig geklingelt - wegen dieses verdammten Klatschzeitungsartikels. Alle hatten angerufen, vom Polizeipräsidenten, der ihm ein gutes Wort mit auf den Weg geben wollte, über lokale Radiosender und Online- Redakteure bis hin zu Zeitungsschreiberlingen und was sich sonst noch alles an Überspannten in der Welt der Medien bewegte. Anscheinend amüsierte es Frau Sørensen im zweiten Stock, Hinz und Kunz zu ihm durchzustellen. Jedenfalls hatte er nun das Telefon auf lautlos gestellt und eine gewisse Nummernfunktion aktiviert. Das Problem war nur, dass er sich Zahlen noch nie gut merken konnte, aber auf diese Weise entging er weiteren Störungen.
    Das Fax von John Rasmussen, dem Godhavn-Erzieher, war das Erste, das ihn aus dem selbst gewählten Winterschlaf riss.
    Rasmussen war, wie nicht anders erwartet, ein höflicher Mann und bedankte sich bei Carl, dass er sich die Zeit genommen und ihn durchs Präsidium geführt hatte. Seinen lobenden Worten folgten die versprochenen Dokumente. Kurz gefasst wie sie waren, waren die Informationen Gold wert.
    Der Junge, den sie Atomos nannten, hieß in Wirklichkeit Lars Henrik Jensen. Die Personennummer lautete 0201972-0619. Also war er 1972 geboren und heute fünfunddreißig Jahre alt. Er und Merete Lynggaard waren demzufolge ungefähr gleichaltrig.
    Was für ein idiotisch gewöhnlicher Name, dachte Carl müde.
    Lars Henrik Jensen. Warum war Bak oder einer von den anderen, die damals in dem Fall ermittelten, nicht so clever gewesen und hatte die Mannschaftsliste der »Schleswig-Holstein« ausgedruckt? Es war zum Verzweifeln. Wer konnte sagen, ob sich die Dienstpläne von damals überhaupt noch ausgraben ließen?
    Er spitzte den Mund. Sollte sich herausstellen, dass der Kerl damals auf der »Schleswig-Holstein« Dienst hatte, wäre das ein riesiger Fortschritt. Eine Anfrage bei Scandlines konnte das hoffentlich klären. Er saß einen Augenblick vor dem Fax und überflog den Text noch einmal. Dann nahm er den Hörer zur Hand, um beim Hauptsitz der Reederei anzurufen.
    Noch bevor er die Nummer eingeben konnte, hörte er eine Stimme. Im ersten

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