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Erbarmen

Erbarmen

Titel: Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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bis sie den gesamten Raum erfasst hatte. Als sie damit fertig war, konnte sie zumindest sicher sein, dass sich außer ihr niemand in diesem Raum befand.
    Ich muss da drüben an der Stelle warten, die an eine Tür erinnert, dachte sie. Sie würde sich dort auf den Boden setzen, sodass man sie von den Glasscheiben aus nicht sehen konnte. Wenn jemand eintrat, würde sie dessen Beine umklammern und ihn mit aller Kraft zu Fall bringen. Und dann würde sie demjenigen fest gegen den Kopf treten.
    Ihre Muskeln spannten sich, und die Haut wurde feucht.
    Vielleicht hatte sie nur diese eine Chance.
    Als sie so lange dort gesessen hatte, dass ihr Körper steif geworden war und die Sinne erschlafft, stand sie auf und bewegte sich in die schräg gegenüberliegende Ecke, um dort zu pinkeln. Sie musste sich daran erinnern, dass sie diese Ecke dafür benutzt hatte. Eine Ecke als Toilette. Eine bei der Tür, wo sie saß und wartete. Und eine Ecke, in der sie schlafen wollte. Der Uringeruch wurde langsam intensiver, sie hatte nichts zu trinken bekommen, seit sie in der Cafeteria gesessen hatte, und das konnte inzwischen viele Stunden her sein. Natürlich war es möglich, dass sie ein paar Stunden lang bewusstlos gewesen war, aber es konnte auch ein Tag und mehr sein. Sie wusste es nicht. Sie wusste nur, dass sie nicht hungrig war, nur durstig.
    Sie richtete sich auf, zog die Hosen hoch und versuchte sich zu erinnern.
    Uffe und sie waren oben bei den Toiletten die Letzten gewesen. Das waren sie auch auf dem Sonnendeck. Die Männer unten bei der Panoramascheibe waren jedenfalls weggewesen, als sie dort vorbeigingen. Sie hatte einer Kellnerin zugenickt, die aus der Cafeteria kam, und sie hatte zwei Kinder gesehen, die auf den schwarzen Türöffnerknauf schlugen und dann nach unten verschwanden. Sie hatte nur daran gedacht, dass sich Uffe auf der Toilette beeilen sollte.
    O Gott, Uffe! Was war mit ihm geschehen? Er war so unglücklich, als er sie geschlagen hatte. Und er war so traurig, weil seine Baseballkappe weg war. Noch als er zur Toilette ging, hatte er
rate
Flecken im Gesicht. Wo war er jetzt? Wie mochte es ihm gehen?
    Über ihr war ein Klicken zu hören, und sie zuckte zusammen.
    Schnell tastete sie sich zu der Ecke mit der gebogenen Tür. Falls jemand hereinkam, musste sie bereit sein. Dann hörte sie ein zweites Klicken, und ihr Herz klopfte zum Zerspringen. Erst als über ihr das Gebläse einsetzte, merkte sie, dass sie sich beruhigen konnte. Das Klicken kam wohl von einem Relais oder etwas in der Art.
    Sie reckte sich zu der lauen, Leben spendenden Luft. Woran sonst sollte sie sich halten?
    Und so blieb sie stehen, bis das Gebläse wieder aussetzte und sie mit dem Gefühl zurückließ, dieser Luftstram könnte möglicherweise ihre einzige Verbindung zur Außenwelt sein. Sie kniff die Augen ganz fest zusammen und versuchte, klar zu denken, um die Tränen zu verdrängen.
    Der Gedanke war entsetzlich. Vielleicht war es so. Vielleicht hatte man sie einfach hier zurückgelassen, sie versteckt, um sie hier sterben zu lassen. Und niemand wusste, wo sie war. Sie wusste es ja nicht einmal selbst. Sie konnte überall sein. Viele Stunden Fahrzeit von der Fähre entfernt. In Dänemark oder in Deutschland, irgendwo.
    Und mit dem Tod als ganz allmählich näher rückendem, wahrscheinlichem Ausgang des Ganzen stellte sie sich die Waffen vor, die Durst und Hunger gegen sie richten würden: dieses langsame Sterben, bei dem der Körper Punkt für Punkt einem Kurzschluss erliegt, nachdem der Selbsterhaltungstrieb seine Funktion eingestellt hat. Diesen apathischen, ultimativen Schlaf, der sie am Ende erlösen würde.
    Nicht viele werden mich vermissen, dachte sie. Uffe, klar. Er würde sie schon vermissen. Der Ärmste. Aber außer ihm hatte sie kaum jemanden nahe an sich herangelassen. Sie hatte die Menschen weitgehend aus ihrem Leben ausgeschlossen - und sich selbst darin eingeschlossen.
    Sie versuchte mit aller Macht, die Tränen zurückzuhalten, aber es gelang ihr nicht. War das hier wirklich das, was das Leben für sie bestimmt hatte? Sollte es hier und jetzt enden? Ohne Kinder, ohne Glück, ohne dass sie sehr viel von dem verwirklicht hatte, wovon sie in all den Jahren geträumt hatte, als sie mit Uffe allein war? Ohne dass sie die Verpflichtung mit Leben füllen konnte, die sie gefühlt hatte, seit die Eltern tot waren?
    Dieser Gedanke war bitter und traurig, und als sie sich selbst schluchzen hörte, empfand sie nichts als

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