Erbarmen
Ahnung, frag Lars Bjørn. Oder frag den Mann doch selbst.«
Carl hob einen Finger in die Luft, als wollte er die Windrichtung prüfen. »Ich bräuchte im Übrigen einen Plan vom Keller, maßstabsgetreu, wo auch die Himmelsrichtungen eingezeichnet sind.«
Marcus Jacobsen sah jetzt wieder etwas müde aus. Nicht viele würden es wagen, sich mit so merkwürdigen Bitten an ihn zu wenden. »Du kannst dir aus dem Intranet einen Übersichtsplan ausdrucken, Carl. Kinderleicht!«
»Hier«, sagte Carl und deutete auf den Plan, den er vor Assad hingelegt hatte. »Hier siehst du die Wand da, und dort liegt dein Gebetsteppich. Und hier siehst du also den Pfeil, der nach Norden zeigt. Jetzt kannst du deinen Teppich genau ausrichten.«
Aus Assads Augen sprach Erstaunen. Und Respekt. Aus Carl und ihm würde schon noch ein gutes Team werden.
»Du hast zwei Anrufe bekommen. Ich habe beiden erzählt, dass du sie gern zurückrufst.«
»Ja ?«
»Dieser Heimleiter aus Frederikssund und noch eine Dame, die spricht wie eine Maschine, die in Metall schneidet.«
Carl seufzte. »Das ist Vigga, meine Frau.« Sie hatte also seine neue Durchwahl. Damit hatte der Frieden ein Ende.
»Deine Frau? Du hast eine Frau?«
»Ach Assad. Das ist zu schwer zu erklären. Wir wollen uns erst mal etwas besser kennenlernen.«
Assad presste die Lippen zusammen und nickte. Ein Anflug von Mitgefühl zog über sein ernstes Gesicht.
»Assad, wie hast du eigentlich diese Stelle hier bekommen?«
»Ich kenne Lars Bjørn.«
»Du kennst Bjørn?«
Er lächelte. »Ja. Weißt du, ich bin jeden Tag in seinem Büro gewesen, weil ich einen Job bekommen wollte.«
»Du hast Lars Bjørn genervt, damit du einen Job bekommst?«
»Ja. Ich liebe Polizei.«
Er rief Vigga erst an, als er zu Hause im Wohnzimmer stand, wo es nach Essen duftete. Begleitet von gefühlvollen Arien hatte Morten aus dem Angebot des Supermarkts etwas gezaubert. Irgendwas mit Parmaschinken.
Solange man die Dosis selbst bestimmen konnte, war Vigga okay. Viele Jahre lang war es schwer gewesen, aber nachdem sie ihn fallengelassen hatte, galten bestimmte Spielregeln.
»Hör mal Vigga«, sagte er. »Ruf mich doch nicht auf der Arbeit an. Du weißt genau, was da immer los ist.«
»Carl, Lieber. Hat dir Morten nicht erzählt, dass ich friere?«
»Das will ich gerne glauben, Vigga. Das ist schließlich ein Gartenhaus. Und aus beschissenem Material zusammengeschustert. Alte Bretter und Kisten, die schon 1945 übrig waren und zu nichts zu gebrauchen. Zieh doch einfach um.«
»Ich ziehe nicht wieder zu dir nach Hause, Carl.«
Er holte tief Luft. »Das will ich auch hoffen. Es würde für dich und deine Fließbandkonfirmanden unten in der Sauna bei Morten auch ganz schön eng. Es gibt doch verdammt auch andere Häuser und Wohnungen mit Heizung.«
»Ich hätte eine echt gute Lösung für alles.«
Das klang auf jeden Fall teuer. »Eine echt gute Lösung, Vigga, heißt Scheidung.« Die würde früher oder später sowieso kommen. Dann würde ihr die Hälfte des Hauses gehören. Leider war der Wert in den letzten Jahren enorm gestiegen. Er hätte damals die Scheidung einfordern sollen, als die Häuser noch die Hälfte kosteten. Aber jetzt war es zu spät, und ausziehen wollte er auf keinen Fall.
Er richtete den Blick auf die vibrierende Zimmerdecke unter Jespers Zimmer. Und wenn ich wegen der Scheidung einen Kredit aufnehmen muss, dachte er, kann mich das unmöglich mehr kosten, als ich jetzt schon bezahle. Dann müsste sie ja auch die Verantwortung für ihren Sohn übernehmen. Bestimmt hatte in diesem Teil der Stadt keiner eine höhere Stromrechnung als er. Jesper war der Elitekunde Nummer eins des Elektrizitätskonzerns.
»Scheidung? Nein, Carl, ich will mich nicht scheiden lassen.
Das habe ich probiert, und das war nicht gut, wie du weißt.« Er schüttelte den Kopf. Wie zum Teufel bezeichnete sie denn die Situation, in der sie nun schon seit Jahr und Tag lebten? »Ich will eine Galerie haben, Carl. Meine eigene Galerie.« Okay, jetzt kommt es, dachte er. Er sah Viggas meterhohe Schinken vor sich, verrückte, riesige Klecksereien in Hellrot und Goldbronze. Eine Galerie? Gute Idee, wenn sie mehr Platz haben wollte als in der Gartenlaube.
»Eine Galerie sagst du? Mit einem gewaltigen Ofen, stell ich mir vor. Da kannst du den ganzen Tag sitzen und dich an den Millionen wärmen, die nur so hereinströmen.« Doch, ja, er sah schon alles vor sich.
»Ja, du alter Spötter. Das warst du doch schon
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