Erbarmen
oder sich ein Kaudrops nehmen sollte, in der Schreibtischschublade hatte er für alle Fälle eine Packung Läckerol. Aber nicht einmal dafür reichte seine Energie. Verflucht, wieso musste sich der Fall so entwickeln. Er war kurz davor gewesen, den Mist ein für alle Mal abzuschließen, und dann diese Wendung. Jetzt mussten sie lauter Zeug nachrecherchieren. Unendliche Hürden türmten sich plötzlich vor Carls innerem Auge auf. Und das war schließlich nur dieser eine Fall. Auf seinem Schreibtisch warteten noch achtzig bis neunzig andere.
»Was ist denn mit dem Zeugen in dem anderen Auto, Carl? Sollten wir nicht mit dem Mann reden, der in Daniel Hale reinfuhr?«
»Ich habe Lis darauf angesetzt. Sie soll ihn ausfindig machen.« Für einen kurzen Moment sah Assad richtig enttäuscht aus. »Für dich habe ich eine andere Aufgabe, Assad.«
Schon gingen die Mundwinkel wieder nach oben.
»Du fährst mit dem Foto von Daniel Hale nach Holtug in Stevns und fragst diese Helle Andersen, ob das der Mann ist, der Merete den Brief gebracht hat.« Er deutete zur Pinnwand. »Ja, aber er war es doch nicht, der ...«
Carl bremste Assad mit einer Handbewegung. »Nein. Und das wissen du und ich. Aber wenn sie mit nein antwortet, was wir erwarten, dann fragst du sie, ob Daniel Hale dem Typ mit dem Brief ein bisschen ähnlich sieht. Wir müssen doch zusehen, dass wir den Kerl einkreisen, oder? Und dann noch eines. Frag sie, ob Uffe da war und ob er den Mann, der den Brief ablieferte, vielleicht gesehen haben könnte. Und frag sie außerdem, ob sie sich erinnern kann, wo Merete Lynggaard ihre Aktentasche abstellte, wenn sie nach Hause kam. Sag ihr, die sei schwarz und habe auf der einen Seite einen großen Ratscher. Die Tasche gehörte ihrem Vater, und er hatte sie bei dem Unfall bei sich im Auto. Die bedeutete ihr also bestimmt sehr viel.« Als Assad etwas sagen wollte, hob er die Hand. »Und dann fährst du anschließend zu den Antiquitätenhändlern, die das Haus der Lynggaards in Magleby gekauft haben. Die fragst du, ob sie eine solche Aktentasche irgendwo gesehen haben. Und morgen reden wir dann über alles, okay? Du kannst das Auto mit nach Hause nehmen. Ich nehme heute ein Taxi, und später fahre ich mit dem Zug nach Hause.«
Jetzt fuchtelte Assad wild mit den Armen. »Ja, Assad?«
»Einen Augenblick, bitte. Ich muss mir nur einen Schreibblock holen, ja? Kannst du das Ganze bitte noch einmal wiederholen ?«
Hardy hatte schon schlechter ausgesehen. Sein Kopf, der früher mit dem Kopfkissen zu verschmelzen schien, war jetzt so weit angehoben, dass man die feinen Äderchen an seinen Schläfen erkennen konnte. Er hatte die Augen geschlossen und wirkte friedlicher als seit langem. Carl überlegte schon, ob er wieder gehen sollte. Der Respirator stand noch da und pumpte. Aber man hatte einen Teil der Maschinen aus dem Raum entfernt. Vielleicht war das alles ein gutes Zeichen?
So machte er vorsichtig auf dem Absatz kehrt. Er hatte kaum einen Schritt in Richtung Tür getan, da hielt ihn Hardys Stimme auf.
»Warum gehst du? Kannst du es nicht aushalten, einen Mann zu sehen, den man aufs Kreuz gelegt hat?«
Er drehte sich um. Hardy lag noch genauso da wie vorher. »Wenn du willst, dass die Leute bei dir bleiben, Hardy, dann gib ihnen mal ein Zeichen, dass du wach bist. Mach zum Beispiel die Augen auf.«
»Nein. Heute nicht. Heute habe ich keine Lust, die Augen aufzumachen.«
»Wie bitte?«
»Wenn sich meine Tage unterscheiden sollen, dann muss ich selbst dafür sorgen. Okay?«
»Ja, okay.«
Er sagte zwar okay, aber das zu hören, tat ihm in der Seele weh. »Du hast ein paarmal mit Assad gesprochen, Hardy. War es okay, dass ich ihn hierhergeschickt habe?«
»Natürlich nicht.« Er bewegte beim Sprechen kaum die Lippen.
»Na gut, aber das habe ich also gemacht. Und ich habe mir vorgenommen, dass ich ihn genauso oft hierherschicke, wie es nötig ist. Was dagegen?«
»Nur, wenn er diese scharfen Teig-Dinger mitbringt.«
»Ich werde es ihm ausrichten.«
Aus Hardys Körper kam etwas, das sich als Lachen deuten ließ. »Von den Dingern hab ich geschissen wie noch nie in meinem Leben. Die Krankenschwestern waren völlig verzweifelt.« Carl versuchte, die Vorstellung zu verdrängen.
»Ich werde es Assad ausrichten. Nächstes Mal nicht so scharf.«
»Gibt es in der Lynggaard-Geschichte was Neues?«, fragte Hardy.
Zum allerersten Mal, seit er gelähmt war, hatte er Carl eine Frage gestellt. Carl merkte, wie ihm ganz warm
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