Erbarmen
nehmen, was im Eimer lag, und sich zwingen, es zu essen. Der Schmerz würde sie umbringen - oder auch nicht, das würde sich zeigen. Auf jeden Fall wollte sie nicht kampflos aufgeben. Der ekelhaften Frau dort draußen hatte sie gerade ein Versprechen gegeben, das sie zu halten gedachte. Die Zeit würde kommen, wo sie es dieser Furie heimzahlen konnte.
Für einen Moment war ihr geschundener Körper ganz ruhiger kam ihr vor wie eine kurz und klein geschlagene Landschaft nach einem Orkan. Dann kehrte der Schmerz zurück. Dieses Mal schrie sie so hemmungslos, wie sie konnte. Spürte, wie der Eiter aus dem Geschwür über ihre Zunge floss und wie sich das Pochen bis in die Schläfen fortsetzte.
Dann war das bekannte Pfeifen der Schleuse zu hören, und ein neuer Eimer kam in Sicht.
»Hier!«, war die Frauenstimme draußen zu hören. »Wir schicken dir Erste Hilfe. Greif nur zu!«
Auf allen vieren kroch sie rasch zur Schleuse und zog den Eimer aus dem Loch. Sie starrte hinein.
Auf dem Boden des Eimers lag auf einem Stück Stoff, wie ein chirurgisches Instrument, eine Zange.
Eine große Zange. Groß und rostig.
Kap 27 - 2007
Der Tag fing bescheiden an. Er hatte schlecht geträumt, und dann Jespers schlechte Laune beim Frühstück, das hatte Carl jeglichen Antrieb genommen. Als er den Dienstwagen startete, musste er zu allem Überfluss feststellen, dass der Benzintank so gut wie leer war. Und die Dreiviertelstunde auf dem kleinen Stück Autobahn zwischen dem Nymøllevej und Værløse brachte auch nicht unbedingt die Saite von ihm zum Klingen, die man als charmant, zuvorkommend und geduldig bezeichnen konnte.
Als er endlich im Keller unter dem Polizeipräsidium an seinem Schreibtisch saß und den energiegeladenen und gut gelaunten Assad anstarrte, überlegte er kurz, ob er nicht einfach nach oben in das Büro von Marcus Jacobsen gehen, sich dort ein paar Stühle schnappen und diese kurz und klein schlagen sollte - damit man ihn an einen Ort schickte, wo jemand gut auf ihn aufpasste und wo einen die tagtäglichen Unglücksfälle nur erreichten, wenn man die Tagesschau einschaltete.
Er nickte seinem Assistenten müde zu. Wenn er eine Weile auf Sparflamme laufen konnte, würden sich die inneren Batterien möglicherweise wieder aufladen. Er schielte zur Kaffeemaschine, aber die Kanne war leer.
Assad reichte ihm eine winzige Tasse.
»Ich verstehe das nicht richtig, Carl«, sagte er. »Daniel Hale ist tot, sagst du. Bei dem Treffen in Christiansborg war er nicht dabei. Aber wer war das denn dann?«
»Keine Ahnung, Assad. Klar ist, dass Hale mit Merete Lynggaard nichts zu tun hat. Aber derjenige, der an Hales Stelle auftrat, hat sehr wohl mit ihr zu tun.« Er trank einen Schluck von Assads Pfefferminztee. Vier bis fünf Teelöffel Zucker weniger, dann ließe sich das Gebräu fast schon trinken.
»Und wie konnte der Typ wissen, dass dieser Millionär, du weißt, der Chef der Delegation in Christiansborg, Daniel Hale noch nie in echt gesehen hatte?«
»Ja, wie wohl? Vielleicht kannten dieser Typ und Daniel Hale sich ja irgendwie ?« Er stellte die Tasse auf seinen Schreibtisch und sah zu der Pinnwand. Dort hatte er die Broschüre von Interlab A/S mit Daniel Hales gepflegtem Konterfei angebracht.
»Also war es gar nicht Hale, der den Brief abgeliefert hat, oder? Und der Mann, der mit Merete Lynggaard im Bankeråt gegessen hat, war auch nicht Hale?«
»Nach Auskunft von seinen Mitarbeitern hielt sich Daniel Hale zu der Zeit überhaupt nicht im Land auf.« Er wandte sich an seinen Helfer. »Was stand denn in dem Bericht zu Daniel Hales Fahrzeug nach dem Unfall, erinnerst du dich daran? War es hundert Prozent in Ordnung? Fand man irgendwelche Defekte, die den Unfall verursacht haben könnten?«
»Du meinst, ob die Bremsen funktionierten?«
»Die Bremsen. Die Lenkung. Alles Mögliche. Gab es Anzeichen für Sabotage?«
Assad zuckte die Achseln. »Da das Auto ausgebrannt ist, war es schwer, etwas zu sehen, Carl. Aber wie ich den Bericht verstehe, handelte es sich um einen ganz normalen Unfall.«
Ja. So hatte er das auch in Erinnerung. Nichts Verdächtiges.
»Und es gab ja keine Zeugen, die etwas anderes aussagen konnten.«
Sie sahen sich an. »Ich weiß, Assad, ich weiß.«
»Bis auf den Mann, der in ihn hineinfuhr.«
»Ja, genau.« Ganz in Gedanken trank er noch einen Schluck von dem Tee. Es schüttelte ihn. Von dem Zeugs würde er mit Sicherheit nicht abhängig werden.
Carl überlegte, ob er eine rauchen
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