Erbarmungslos: Thriller (German Edition)
Handeln. Der Mann war erfahrener SEBIN -Offizier, ein ausgebildeter Profi. Doch er hatte seine Ausbildung vergessen.
Warum bist du nervös? Dafür gab es zwei Möglichkeiten. Er hatte den Verdacht, dass sie verfolgt wurde. In diesem Fall hätte er gewusst, welches Signal er ihr hätte geben müssen. Oder er wusste sicher, dass sie verfolgt wurde. In diesem Fall wäre er erst gar nicht aufgetaucht. In beiden Fällen lief er als Verräter Gefahr, ins Gefängnis gesteckt oder hingerichtet zu werden, sollte er erwischt werden.
Wenn er natürlich nicht in Gefahr war, musste er aus einem völlig anderen Grund nervös sein.
Du bist hier, amigo . Gibst kein Signal. Bist nervös.
Das bedeutete: SEBIN war hier, der venezolanische Geheimdienst. Doch der Spion wollte trotzdem, dass sie die Brücke betrat.
Er hatte keine Angst davor, erwischt zu werden. Er hatte Angst, dass man sie nicht schnappen würde. Angst, dass das Endspiel, bei dem er mitmischte, in die Hose gehen würde.
Und plötzlich sah Kyra alles so deutlich vor sich, als wäre es bereits geschehen.
El Presidente kontrollierte die Gerichte. Die Verurteilung eines verhafteten CIA -Agenten wegen echter und erfundener Anklagepunkte wäre eine ausgemachte Sache. Der Möchtegerntyrann würde den Fall nutzen, um Entschuldigungen und Zugeständnisse von den USA zu erpressen. Er würde die Verhaftung öffentlich machen und die Geschichte, wenn möglich, wochen-, wenn nicht gar monatelang ausschlachten. Sie, den Geheimdienst und die Vereinigten Staaten erniedrigen. Er würde behaupten, ihre Verhaftung sei Beweis dafür, dass die USA ihn stürzen, vielleicht sogar umbringen wollen. Damit würde er in den Augen seiner Verbündeten hier und im Ausland seine Macht zur Schau stellen. Er würde jeden Mitarbeiter der amerikanischen Botschaft zur persona non grata erklären und alle im Rahmen der Vergeltung aus Venezuela ausweisen. Ihre Ausweisung und die ihrer Kollegen wäre allerdings keine ausgemachte Sache. El Presidente würde sie wie eine verstaubte Kriegstrophäe zur Schau stellen, aber eher, um Feinden – nein, dem Feind – das Fürchten zu lehren, und nicht, um sich von seinen Verbündeten bewundern zu lassen.
SEBIN würde Kyra Stryker im Gefängnis von Los Teques festhalten, wie es die Nordkoreaner mit der USS Pueblo im Hafen von Wonsan getan hatten.
Der Spion hielt mitten in seiner Bewegung inne. Er hatte seinen Fehler bemerkt.
Sechs Straßenblocks bis zum nächsten sicheren Haus.
Kyra rannte los.
Und plötzlich stürmten die Kampfeinheiten von SEBIN wie aus dem Nichts auf Kyra zu. Spanisch rufende Männer mit schwarzen Sturmhauben, Helmen und Körperpanzerung, schweren Stiefeln, mit Seitenwaffen in Schenkelhalftern und Karabinern. Drei Einheiten, vielleicht je sechs Männer, hatten beiderseits der Brücke zwischen den Bäumen Stellung bezogen, wo sie in der Dunkelheit perfekte Deckung fanden. Eine Einheit stürmte von der anderen Seite mitten auf die Brücke, wo die Soldaten unter den schmutzigen Gittern gelegen hatten. Wahrscheinlich gab es noch mehr von ihnen, vielleicht Späher in oder auf den umliegenden Gebäuden. Kyra wäre in die Falle getappt, sobald sie die Brücke betreten hätte.
Die erste Einheit, die sich in den Hohlräumen unter der Brücke versteckt hatte, versuchte, durch die Gitter zu klettern. Die Brücke war schmal, die Ausrüstung der Männer sperrig. Sie würden dreißig Sekunden brauchen, um ans Ufer zu gelangen.
Die zweite Einheit befand sich auf der anderen Seite der Brücke zwanzig Meter entfernt. Sie hatte die Brücke bereits erreicht, wurde aber von der Einheit, die durch das Gitter kletterte, blockiert. Einheit zwei würde mindestens eine Minute lang nicht einsatzfähig sein.
Die dritte Einheit auf ihrer Seite der Brücke hielt sich unten am Damm direkt oberhalb des Kanals und nur zehn Meter entfernt hinter den Bäumen auf, doch die Männer mussten durchs Gebüsch klettern, das die Zementmauer überwucherte. Der Soldat, der sich Kyra am nächsten befand, würde drei Sekunden brauchen, um die obere Kante des Damms zu erreichen. Zu spät, da Kyra bereits mindestens dreißig Meter entfernt sein würde.
Sie rannte mit vollem Tempo, ohne von einem Soldaten eingeholt zu werden, der durch sein Gewehr oder seine andere Ausrüstung behindert wurde. Sie hatte eine Gasse links von sich anvisiert und hoffte, dass keine weitere Einheit dort im Dunkeln auf sie wartete.
Sie bog um die Ecke, sah aber kein Licht am Ende. Kein Licht, kein SEBIN
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