Erbe des Drachenblutes (German Edition)
dass sie hier unbeobachtet agieren konnten und ihnen niemand in die Quere kommen würde. Es war ihm all die Jahre wichtig gewesen, dass sein Tun im Verborgenen blieb und man den lautlosen Tod als ein gesichtsloses Unglück sah. Doch dieses Mal gab es Zeugen.
Aber war das noch relevant? Er wusste, dass die ehemalige Regentin und der Völkerrat bereits erfahren hatten, wodurch der lautlose Tod wirklich verursacht wurde und warum die Menschen gestorben waren. Er hatte die Energie der göttlichen Kuppeln nicht nur örtlich verändert, oh nein, er hatte es auch geschafft, die Schutzkuppeln so zu variieren, dass sie luftundurchlässig wurden. Für ihn war das ein sensationeller Fortschritt … was für Möglichkeiten taten sich damit auf!
Wichtig war, dass niemand erfuhr, wer hinter dem lautlosen Tod stand, und dass er ausreichend Zeit gehabt hatte, seine Fähigkeiten zu perfektionieren. Nun war er soweit, er konnte seine eigentliche Aufgabe erfüllen. Schon wollte er sich abwenden, doch dann zögerte er. Widerwillig fragte er sich, was die Greifenreiter hier draußen eigentlich taten? Wo wollten sie hin?
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Nirvan eilte einige Gänge und Wendeltreppen hinab, auf dem direkten Weg zu Sennus Nachtschattens Labor. In dem Labor hatte er mehr Zeit verbracht als an irgendeinem anderen Ort in der Festung, und er erhoffte sich dort Antworten.
Aus alter Gewohnheit erwartete er jede Sekunde, dass der oberste Hofmagier um die nächste Ecke bog und ihn zurechtwies. Seine Anwesenheit war fast körperlich zu spüren. Aber er kam nicht. Als Nirvan ihn zuletzt gesehen hatte, hatte er einen langen graugesprenkelten Bart getragen, der ihm bis zum Bauchnabel gereicht und perfekt zu seinen buschigen Augenbrauen gepasst hatte. Ein Bart, der im Kontrast zu seiner hochgewachsenen Figur und seinem hart geschnittenen Gesicht stand, die eher an einen jungen Mann erinnerten. Wenn Sennus sich in der Festung aufgehalten hätte, hätte Nirvan es niemals gewagt, unaufgefordert sein Labor betreten. Er wusste, dass seine magischen Fähigkeiten trotz vieler Jahre des harten Trainings noch immer denen von Sennus unterlegen waren. Die schwarze Magie seines ehemaligen Meisters erschien grenzenlos und unheilig. Nirvan fühlte sich dem nicht gewachsen, und gegen seine Anweisungen zu handeln war stets eine schmerzhafte Angelegenheit gewesen. Dennoch, im Labor sah er die größten Erfolgsaussichten, herauszufinden, wo er sich zurzeit aufhielt. Falls er sich in Minas Nähe befand, musste er etwas unternehmen, gleich wie aussichtslos es erschien.
Auf seinem Weg begegnete er einigen Wachhabenden, doch er wurde von jedem erkannt und anstandslos durchgelassen. Dann war er an dem Labor angekommen. Die schwere Eichentür war hinter einer Masse von grauweißen Spinnweben verborgen. Offenbar hatte seit dem Weggang des Hofmagiers niemand mehr das Labor betreten.
Nirvan öffnete die Tür einen Spalt weit und schob sich hindurch. Vor ihm standen verschiedene Holztische und Regale, die mit Glasgefäßen, eingelegten Tierkadavern und getrockneten Pulvern übersät waren. Über allem lag eine dicke Staubschicht. So hätte es auch in Nirvans Räumlichkeiten ausgesehen, wenn er nicht so weise gewesen wäre, einen Schutzzauber über die Möbel zu werfen. Er senkte den Kopf, ohne genau zu wissen, was er suchte, da hörte er ein Knirschen hinter sich. Flink wie ein Wiesel drehte er sich um und zog gleichzeitig einen Dolch. Seine Klinge schoss vor und setzte sich an den Hals des stillen Beobachters, bevor er das Gesicht ausmachen konnte. Das Leben in der Festung war zu gefährlich, um zu zögern.
Nirvan blinzelte, dann erkannte er sein Gegenüber. Seine Augen weiteten sich. Sie wirkte unbeeindruckt und verzog keine Miene. Ihr Gesicht war abweisend. Er zog seinen Dolch zurück, woraufhin sie langsam ihren Kopf zur Seite legte. In dieser Pose hatte sie etwas von einem neugierigen Welpen.
»Du bist Nirvan, nicht wahr?«
Er nickte. Das junge Mädchen hatte er im Thronsaal von Cor Keto zum ersten Mal gesehen, dennoch kam ihm etwas an ihr bekannt vor. Sie schob sich an ihm vorbei, stellte sich in die Mitte des verlassenen Labors und drehte sich um sich selbst, als wolle sie alles genau mustern. Nirvan bemerkte, dass sie jeden Schritt, jede Geste und jede Bewegung extrem langsam und aufreizend vollführte. Er war sich sicher, dass das auch ganz bewusst so geschah. Die knappe Kleidung unterstrich dabei ihre Provokation. Sie trug einen kurzen, schwarzweiß gemusterten Rock,
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